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Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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lesen, aber dieses eine schon. Es war ihr Name. Er stand am Anfang
ganz vieler Sätze:
    Juliette.
    Das war sie. Sie sah
zu der Dame auf und verstand jetzt, warum ihre Eltern sie hergebracht hatten,
warum sie so lange und so weit gegangen waren.
    »Danke«, sagte sie
höflich.
    Und dann, nach einer
kleinen Denkpause: »Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin.«

32. KAPITEL
    »Nur düstern Frieden bringt uns dieser Morgen;
    Die Sonne scheint, verhüllt vor Weh, zu weilen.
    Kommt, offenbart mir ferner, was verborgen,
    Ich will dann strafen oder Gnad erteilen.«
    Es
war der Morgen nach der schlimmsten Reinigung in Lukas’ Leben – und er dachte
darüber nach, einfach zur Arbeit zu gehen, den bezahlten Urlaubstag zu
ignorieren, so zu tun, als wäre es ein Tag wie jeder andere. Er saß am Fußende
seines Bettes und nahm all seine Kraft zusammen, um sich überhaupt zu bewegen.
Er hielt eine seiner Sternenkarten in der Hand. Mit einem Finger strich er über
die Zeichnung eines speziellen Sterns, vorsichtig, um die Kohle nicht zu
verschmieren.
    Es war kein Stern
wie die anderen. Die anderen waren einfache Punkte auf einem akkurat angelegten
Gitter, dazu kamen Details wie das Datum der Sichtung, die genaue Lage und
Helligkeit. Aber dies war kein Stern vom Nachthimmel – keiner, der auch nur
annähernd so alt war wie die anderen. Es war ein Stern mit fünf Zacken, der
Umriss des Sheriffabzeichens. Er erinnerte sich noch, wie er ihn gezeichnet
hatte, als sie sich an jenem Abend unterhielten und der Stahl auf ihrer Brust
matt im schwachen Licht aus dem Treppenhaus schimmerte. Er erinnerte sich an
ihre Stimme, wie sie ihn hypnotisiert hatte.
    Er erinnerte sich
auch, wie sie sich in der vorletzten Nacht in ihrer Zelle von ihm abgewandt
hatte, wie sie seine Gefühle hatte schonen wollen, indem sie ihn wegschickte.
    Er hatte fast die
ganze Nacht um diese Frau geweint, die er kaum kannte. Und jetzt überlegte er,
was er mit seinem Tag anfangen sollte, mit seinem Leben. Beim Gedanken an
Juliette da draußen, wie sie noch eine letzte Aufgabe für die Silobewohner
übernahm – die Reinigung der Linsen –, wurde ihm ganz übel. Er überlegte, ob er
deswegen vielleicht seit zwei Tagen keinen Appetit mehr hatte. Sein Magen
wusste vermutlich, dass er nichts würde bei sich behalten können, selbst wenn er
sich zum Essen zwang.
    Er legte die
Sternentafel beiseite und ließ das Gesicht in seine Hände sinken. Dann blieb er
regungslos sitzen, todmüde, und versuchte, sich selbst zum Aufstehen und zur
Arbeit zu überreden. Er versuchte sich zu erinnern, womit er in der vergangenen
Woche zuletzt beschäftigt gewesen war. Server Nummer acht war wieder einmal
abgestürzt, und Sammi hatte vorgeschlagen, die Steuerplatine auszutauschen.
Lukas nahm jedoch an, dass sie es eher mit einem defekten Kabel zu tun hatten.
Daran hatte er gearbeitet, fiel ihm jetzt ein: Er hatte die Ethernetkabel
überprüft. Und das würde er auch jetzt tun, an diesem Tag. Alles, nur nicht
tatenlos herumsitzen und sich körperlich krank fühlen wegen einer Frau, mit der
ihn eigentlich nichts weiter verband, als dass er seiner Mutter von ihr erzählt
hatte.
    Lukas zog den
Overall vom Vortag noch einmal an. Dann stand er einen Moment lang da, starrte
auf seine nackten Füße und fragte sich, warum er eigentlich aufgestanden war.
Wo wollte er noch gleich hin? Sein Kopf war total leer, sein Körper taub. Er
überlegte, ob er einfach so stehen bleiben könnte, mit diesem Knoten im Bauch,
für den Rest seines Lebens. Irgendwann würde man ihn finden. Tot und steif,
eine Leichenstatue.
    Er schüttelte den
Kopf, um die schwarzen Gedanken loszuwerden, dann suchte er seine Stiefel.
    Er verließ sein
Zimmer und stolperte zum Treppenabsatz, an den Kindern vorbei, die sich
freuten, dass sie schon wieder schulfrei hatten, und an ihren Eltern, die
versuchten, ihnen Schuhe und Overalls anzuziehen. Für Lukas war das
Durcheinander nur ein Hintergrundgeräusch. Wie ein Summen, wie der Schmerz in
seinen Beinen, den er von dem langen Abstieg zu Juliettes Zelle noch spürte. Er
trat auf den Treppenabsatz und wollte sofort nach oben, in die Kantine. Alles,
woran er denken konnte, war das, woran er die letzten Wochen nahezu
ununterbrochen gedacht hatte: den Tag hinter sich zu bringen, damit er
hinaufgehen und sie eventuell sehen könnte.
    Plötzlich ging ihm
auf, dass dem noch immer nichts im Wege stand. Er interessierte sich nicht
sonderlich für Sonnenaufgänge – eher für die

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