Silo: Roman (German Edition)
Werkbank fallen und ging zur Tür. Er hielt sich am
Pfosten fest, als der Junge vorbeieilte.
»Träger!«, rief er,
und der Junge blieb widerwillig stehen. »Was gibt’s Neues?«
» Riesige Neuigkeiten«, sagte der Träger. »Kostet allerdings eine Marke.«
Walker grunzte
angeekelt, wühlte aber in seinem Overall. Er winkte den Jungen heran. »Du heißt
Samson, oder?«
Der Junge nickte,
die Haare fielen um sein jugendliches Gesicht.
»Und du warst
Glorias Schatten, oder?«
Wieder nickte der
Junge, wobei sein Blick auf die Marke gerichtet war, die Walker aus seiner
Tasche zog.
»Gloria hätte mir
die Neuigkeit auch so anvertraut.«
»Gloria ist tot«,
sagte der Junge und hob die Handfläche.
»Das stimmt«,
seufzte Walker. Er ließ die Wertmarke in die ausgestreckte Hand des Jungen
fallen, dann deutete er mit seinen altersfleckigen Händen an, dass er jetzt die
Neuigkeit hören wolle. »Alle Einzelheiten, mein Junge. Lass nichts aus.«
»Sie hat die
Reinigung nicht vorgenommen, Mr Walker!«
Walkers Herz setzte
einen Schlag aus. Der Junge drehte sich um und wollte weiterlaufen.
»Warte! Was soll das
heißen, nicht vorgenommen? Haben sie sie freigelassen?«
»Nein, Sir. Sie hat
sich geweigert !«
Die Augen des Jungen
funkelten, er grinste breit, weil er so viel wusste. Solange er lebte, hatte
sich noch nie jemand geweigert, die Reinigung zu erledigen. Auch solange Walker
lebte, war das noch nicht vorgekommen. Vielleicht noch nie. Walker war stolz
auf seine Juliette.
Der Junge wartete
einen Moment. Er schien losrennen zu wollen.
»Sonst noch was?«,
fragte Walker.
Samson nickte und
schielte auf Walkers Tasche.
Walker stieß einen
langen Seufzer aus. Was war aus dieser Generation nur geworden. Er wühlte mit
einer Hand in der Tasche, mit der anderen wedelte er ungeduldig herum.
»Sie ist weg ,
Mr Walker!«
»Wie, weg? Tot? Nun
sag schon, Junge!«
Samsons Zähne
blitzten auf, als die Marke in seinem Overall verschwand. »Nein. Sie ist weg – über die Hügel gegangen. Sie hat sich nicht um die Reinigung gekümmert, Mr
Walker, sondern ist einfach über den Hügel geklettert und verschwunden. Sie ist
in die Stadt gegangen, und Mr Bernard hat die ganze Zeit zugeguckt.«
Der junge Träger
schlug Walker begeistert auf den Arm. Er strich sich das Haar aus dem Gesicht,
grinste breit und rannte dann weiter, auf leichteren Füßen und mit klimpernden
Taschen.
Walker stand
verdattert in der Tür. Mit einer Hand hielt er sich am Türpfosten fest, um
nicht hinaus in die Welt zu taumeln. Er sah über die Schulter zurück auf das
ungemachte Bett, das die ganze Nacht nach ihm gerufen hatte. Vom Lötkolben
stieg immer noch Qualm auf. Er wandte sich von der Halle ab, die bald von den
Schritten und Stimmen der ersten Schicht erfüllt sein würde. Er zog den Stecker
aus dem Lötkolben, um keinen Brand auszulösen.
Einen Augenblick
lang stand er einfach da und dachte über Jules und diese Neuigkeit nach. Er
fragte sich, ob sie seine Nachricht noch rechtzeitig bekommen hatte, ob er ihre
Angst hatte lindern können, die er selbst tief im Bauch mitempfunden hatte.
Walker ging wieder
zur Tür. Die Mechanik erwachte zum Leben. Er spürte den starken Drang
hinauszugehen, die Schwelle zu übertreten, Teil des Unvorhersehbaren zu werden.
Wahrscheinlich würde
Shirly gleich mit seinem Frühstück kommen und die benutzten Teller abholen. Er
konnte auf sie warten, vielleicht ein bisschen mit ihr reden. Vielleicht würde
die wahnsinnige Idee, die in seinem Kopf herumspukte, dann wieder verfliegen.
Aber die
Vorstellung, noch länger untätig zu bleiben, während die Minuten verstrichen,
Minuten, in denen er nicht wusste, wie weit Juliette gekommen war und wie die
anderen auf ihr Verschwinden reagierten, diese Vorstellung trieb ihn
schließlich an.
Walker hob einen
Fuß, streckte ihn durch seine Tür, ließ den Stiefel einen Moment über dem Boden
schweben, den er so lange nicht betreten hatte.
Dann holte er tief
Luft, ließ sich nach vorn fallen und trat auf. Und plötzlich fühlte er sich
selbst wie ein unerschrockener Entdecker. Hier ging er nach vierzig Jahren zum
ersten Mal wieder den vertrauten Flur entlang, eine Hand an der Stahlwand, auf
die nächste Biegung zu, hinter der seine Augen vermutlich nichts mehr
wiedererkennen würden.
34. KAPITEL
»Und wohnt kein Mitleid droben in den Wolken,
Das in die Tiefe meines Jammers schaut?
O süße Mutter, stoß mich doch nicht weg!«
Die
schweren Stahltüren des
Weitere Kostenlose Bücher