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Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Sils Maria: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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beiden mit sich herumtrugen. Denn dass sie ein Geheimnis hatten, welches sie vor der Schulklasse und der ganzen Welt verbargen, schien für Plotek eindeutig. Wie sie sich da gegenübersaßen und miteinander redeten, dabei immer wieder nach der Hand des anderen griffen, ließ gar keinen anderen Schluss zu. Es sah aus wie das heimliche Treffen eines Mannes mit seiner Geliebten, die ihm gerade gesteht, von ihm schwanger zu sein, und nun verlangt, dass er es seiner Ehefrau beibringt. Das hat natürlich höchste Nervosität zur Folge, auch Misstrauen und alles.
    »Schwul?«, fragte Vinzi leise, wie man sagt: »Nachtigall, ick hör dir trapsen!«
    »Du meinst, die zwei haben ein Verhältnis miteinander?«, fragte Plotek ebenso leise zurück. Und spekulierte weiter: ohne das Wissen ihrer Ehefrauen? Brokeback Mountain auf Paukerniveau?
    »Oder vielleicht hat einer der beiden eine Beziehung mit einer Schülerin?«
    »Vielleicht sogar alle zwei?«
    »Mit derselben!«, kam von Vinzi.
    »Hmm.«
    Irgendetwas stimmt mit den zweien nicht, dachte Plotek, sonst würden sie doch wegen so einer Leiche nicht gleich zittern.
    »Die Lehrer scheinen auf jeden Fall das größere Problem mit der Toten zu haben als ihre Schülerinnen.«
    »Stimmt.«
    Frau Frischknecht war zurück und knöpfte sich nun die anderen Zeugen vor. Zuerst die Lehrer und hernach eine Schülerin nach der anderen. Was sich Plotek und Vinzi dann aber nicht mehr antun wollten, weshalb sie beschlossen, das Restaurant und das Hotel Zentral zu verlassen. Doch irgendwie muss Plotek zu hastig vom Stuhl aufgestanden sein, für einen Moment schien sein Kreislauf im Keller nach dem Lichtschalter zu suchen. Kein Wunder eigentlich, hatte er doch nichts im Magen. Außerdem war in der Gaststube eine Hitze wie in einer finnischen Sauna. Folge: Vor Ploteks Augen schimmerte es golden. Sternschnuppen kreuzten inflationär seinen Blick, als gäbe es die Wünsche dazu im Familienpack. Schweißperlen tanzten auf seiner Stirn, und plötzlich zuckte es nicht nur über einem, sondern über beiden Augenlidern, wie bei winzigen Stromstößen. Er taumelte und fiel. Wie bei der missglückten Qigong-Übung. Dieses Mal fiel er aber nicht auf eine Gummimatte. Er landete direkt in den Armen von Frau Pan. Sechster Sinn eben! Und Überraschung: Die kleine Asiatin fing ihn auf und hielt ihn auf den Beinen, als wäre sie keine kleine Asiatin, sondern vielmehr ein großes Auffangbecken für gefallene Qigong-Kämpfer. Sechster Sinn gepaart mit übernatürlicher Kraft!
    »Sie müssen an frische Luft«, sagte Frau Pan, nachdem Plotek sich ein wenig gefangen hatte.
    »Ja, die Luft ist das Beste hier«, stimmte Plotek zu, als ginge es darum, Frau Pan zu gefallen.
    »Wie Sie wissen das?« Sie schien überrascht und lächelte.
    »Dr. Wehrli.«
    »Ja, Luft ist Leben.« Es klang wie ein Spruch von einem Abreißkalender mit chinesischen Sprichwörtern. Oder wie eines dieser Papierfitzelchen, die in Keksen stecken und Weisheiten verkünden.
    »Es geht wieder?« Frau Pan schien ein wenig besorgt. »Hier, nehmen Sie.«
    Sie reichte ihm tatsächlich einen dieser Glückskekse, in denen sich besagte Papierfitzelchen befanden. Die Kekse ruhten in einer großen Schale auf dem Tresen und warteten darauf, dass sich die Gäste bedienten und das Glück zur Tat schreiten konnte.
    Plotek griff zu. Vinzi auch.
    »Danke.«
    »Ja.«
    Es ging wirklich wieder.
    Plotek schob den Rollstuhl, in dem Vinzi saß und rauchte. Oder besser: Plotek hielt sich mehr daran fest, als dass er schob. So gut ging es dann doch noch nicht. Die Sonne ging langsam unter und verschwand hinter der Bergkette am Horizont. Die ersten Straßenlaternen brannten bereits. Die beiden schlenderten die Dorfstraße entlang und kamen an einer großen Baustelle gegenüber dem Hotel Edelrose vorbei. Der Rohbau war eingerüstet. Zwei Kräne ragten in den Himmel wie überdimensionierte Tiere aus Stahl. Plötzlich blieb Plotek stehen.
    »Was ist?« Vinzi sah erstaunt zu ihm nach hinten.
    »Siehst du das auch?«, fragte Plotek.
    »Was?«
    »Hier im Schnee.« Plotek zweifelte an seiner Wahrnehmung, zeigte mit der Hand dennoch auf den Boden vor sich.
    »Spuren«, sagte Vinzi, wie man sagt: »Na und?«
    »Ja. Aber nicht irgendwelche. Das sind Spuren von einem Reh.«
    »Hmm«, machte Vinzi. Unklar, ob er es infrage stellte oder ob es ihm egal war.
    »Das sind eindeutig Abdrücke von Rehhufen.« Plotek bestand darauf.
    »Ich glaube, hier gibt es ziemlich viele Rehe und …«

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