Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
kein Jeanshemd mit Druckknöpfen, keine dieser immer etwas zu großen Lederjacken von C&A und kein billiges Eau de Toilette. Sie sah eher aus wie eine Schauspielerin, die eine Kriminalbeamtin spielt. Eine vom öffentlich-rechtlichen Vorabendprogramm natürlich. Soll heißen: als wäre sie vorher noch schnell in der Maske gewesen. Also alles tipptopp. Gut aussehend, gut riechend, mit einer Figur wie aus dem Spind in den Umkleideräumen bei Daimler.
Die Hauptkommissarin lud Plotek und Vinzi ins Wang Tong 23 , das zum Hotel Zentral gehörende chinesische Restaurant, zur Vernehmung.
Wang Tong 23 , dachte Plotek. Und: seltsamer Name. Gab es auch zweiundzwanzig andere Wang Tongs? Wenn ja, wo waren die? Vinzi schien dasselbe zu denken. Und fragte es auch gleich. Da ist er eben anders als Plotek. Während Plotek noch denkt, spricht Vinzi bereits.
Frau Pan auch. »Überall und nirgendwo«, sagte sie lächelnd, als hätte die Zahl keine Bedeutung. Zahlen haben aber immer eine Bedeutung. Wenn auch nur, um geheimnisvoll zu wirken.
Bei der Vernehmung stellte sich heraus, dass sich die unverschämt gut aussehende Kripobeamtin weniger für die Leiche interessierte als für Plotek und Vinzi. Oder besser: für deren Herkunft und die Gründe ihres Aufenthalts. Man hätte als Außenstehender den Eindruck haben können, dass das Gespräch nicht so sehr um ein Delikt kreiste, sondern vielmehr ein eloquenter Flirt mit humorigen Einlagen war. Zum ersten Mal hatte Plotek den Gedanken: Sogar Kriminalbeamte sind Menschen. Nicht nur gut aussehend, sondern auch sympathisch. Ob es an der Bergluft lag? Am Schweizer Gemüt? Oder war diese vielleicht fünfunddreißigjährige Frau, die gerne lachte und sich offenbar auch für den Menschen hinter dem Namen auf dem Vernehmungsbogen interessierte, eine singuläre Erscheinung?
Als die Formalien abgearbeitet waren, fragte Vinzi: »Haben Sie eine Ahnung, warum sich das Mädchen ausgezogen hat?«
»Kälte-Idiotie«, sagte Hauptkommissarin Frischknecht und sah dabei so aus, als verstünde sie es selbst nicht ganz.
»Was?«, kam von Plotek, bei dem dieser Begriff nur ein riesiges Fragezeichen hinterließ.
»So nennt man das, im rechtsmedizinischen Jargon.«
»Und bedeutet?«
»Nun, ich bin keine Rechtsmedizinerin, aber wenn ich das richtig verstanden habe, dann zieht sich der Mensch, bevor er erfriert, aus, weil sein Hirn bei einer Körpertemperatur unter 32 Grad nicht mehr richtig tickt. Das heißt, alle Kräfte werden ein letztes Mal mobilisiert und die verbliebenen Energiereserven aktiviert. Dabei hat der Erfrierende seltsamerweise plötzlich das Gefühl zu schwitzen. Und was tut man, wenn einem warm ist?«
Sie sah zuerst Plotek tief in die Augen, dass es dem auch ganz warm wurde. Dann Vinzi. Hernach streifte sie grinsend ihre perfekt sitzende Lederjacke, die sicher nicht von C&A stammte, vom Körper und hängte sie über die Stuhllehne.
»Richtig. Man zieht sich aus.« Frau Frischknecht beließ es bei der Jacke.
Schade eigentlich, dachte Plotek. In Unterwäsche würde die Frau Hauptkommissarin bestimmt noch attraktiver aussehen als mit dieser sportlich wirkenden, eng geschnittenen Bluse. Obwohl die auch schon einen Augenschmaus bereithielt. Die zierliche Frau konnte einen mächtigen Vorbau ihr Eigen nennen.
»So vermutlich auch das Mädchen«, fuhr Hauptkommissarin Frischknecht fort. Wobei Plotek und offensichtlich auch Vinzi große Schwierigkeiten hatten, ihr weiterhin zu folgen. Plotek wegen der Hitze und Vinzi, als ausgewiesener Freund großer Brüste, wegen dem Erker an der Bluse. Beiden hatte es die Sprache verschlagen. Fragte die Hauptkommissarin eben, während sie die Hände vor sich auf dem Tisch faltete und die schlanken Daumen um sich selbst kreisen ließ: »Klingt doch einleuchtend, oder?«
»Und die vier anderen Jugendlichen vor ihr?«, quetschte Plotek, dem es beim Blick auf die rotierenden Daumen ganz schwindlig wurde, aus sich heraus. »Auch Kälte-Idiotie?«
Die Hauptkommissarin nickte, während ihre Mimik auszusagen schien, dass die Idiotie nicht nur auf die Kälte zurückzuführen war.
»Die haben sich alle umgebracht?« Plotek starrte noch immer auf die Daumen, und auf seiner Stirn verabredeten sich die Schweißperlen zur Vollversammlung.
»Exakt.«
»Aber warum?«
»Wie warum?«
»Warum bringt man sich um?«, fragte Plotek, wie man fragt: »Warum schwitz ich jetzt wie ein Schwein?«
»Sie meinen das Motiv?«
»Exakt«, sagte Plotek.
»Gute Frage.« Die
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