Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
ihm. Zu förmlich. Zu kalt. Sie machte ihn irgendwie unnahbar, denn sie war das Symbol einer Welt, aus der sie ausgeschlossen war.
»Ich hatte einen Albtraum heute Nacht«, sagte sie mit leiser Stimme.
Rhys’ Gesicht verlor jeden Ausdruck, doch seine Schultern spannten sich fast unmerklich an.
Winter konnte nicht, durfte nicht wissen …
»Das tut mir leid«, murmelte er.
Die Art, wie er die Worte aussprach, ließ sie entsetzt erzittern.
Es ist nicht möglich .
»Weißt du, was ich geträumt habe?«
Rhys wich ihren Augen lange aus, dann nahm er ihr Gesicht in die Hände in einer fast unbeholfenen Geste. »Es war nur ein Traum, Winter.«
Sie atmete tief durch. »Ich habe den Tod des Großmeisters gesehen. Ich habe dich gesehen, wie du ihn getötet hast.«
Das Leid in Rhys’ Gesicht peinigte sie.
»Es war bloß ein Traum, oder?«, fragte sie ihn in einem unangenehm schrillen Ton. »Nicht wahr, Rhys?«
Der Junge schwieg und Winter fühlte, wie die Tränen in ihren Augen brannten.
»Ich bitte dich«, flehte sie ihn an. »Schau mir ins Gesicht und sag mir, dass es nicht wahr ist … Bitte …«
Rhys wandte ihr abrupt den Rücken zu.
»Ich kann nicht«, erklärte er. »Es ist mir nicht möglich, dich zu belügen.«
Winter begann zu zittern. In diesem Augenblick hatte sie alles verloren. Sie war sich nicht einmal bewusst, dass sie still zu weinen begonnen hatte.
Er drehte sich nicht um und sie betrachtete weiterhin seinen Rücken, durch den wässrigen Schleier hindurch, der ihr den Blick trübte.
Die Sekunden wurden zu Minuten.
»Warum hast du das getan?«, fragte sie nach einer Wartezeit, die ihr unendlich vorkam.
»Für dich.« Endlich drehte Rhys sich um und sein Blick war voller Bitterkeit. »Um so weit nach oben zu kommen, dass ich dich beschützen kann. Ironie des Schicksals, dass es nun gerade das ist, was uns trennt, nicht?«
Winter schüttelte energisch den Kopf. »Bist du dir bewusst, was du da sagst? Du hast einen Menschen getötet …«
»Glaubst du, wir wären je frei gewesen, solange Lochinvar am Leben war? Früher oder später hätte er dich gezwungen, dich zu opfern, um mich aus dem Weg zu räumen. Das war der einzige Grund, warum er dich am Leben gelassen hat.«
»Ich hätte es niemals getan.«
»Du hättest keine Wahl gehabt. Er hätte jedes Mittel eingesetzt, um dich zu zwingen. Er hätte jeden in deiner Nähe angegriffen.«
In zwei Schritten war er bei ihr, überragte sie.
»Er hätte dich gepeinigt. Und er hätte dich verurteilt. Das konnte ich nicht erlauben, verstehst du? Nicht jetzt, wo du mir die MACHT verliehen hast, es zu verhindern.«
Er hatte die Stimme erhoben und Winter reagierte mit Wut.
»Und welche Wahl hast du mir gelassen?«, schrie sie. »Ist dir nie in den Sinn gekommen, mit mir darüber zu sprechen?«
Rhys brach in ein bitteres Lachen aus. »Du hättest es nicht verstanden. Du kannst mir ja nicht einmal mehr in die Augen sehen!«
»Du bist ein Mörder geworden, Rhys!«, brach es aus ihr heraus, bevor sie es verhindern konnte.
Sie trat zurück, stieß gegen den Stuhl hinter sich und stolperte. Blitzschnell stand Rhys neben ihr. Er fing sie auf und hielt ihre Schultern fest umklammert, doch sie war viel zu zornig, um sich zu erschrecken.
»Und jetzt, was willst du tun? Mich ebenfalls umlegen, bevor ich deinen schönen Plan ruinieren kann? Nur zu, komm schon!«
Der Druck auf ihre Schultern ließ plötzlich nach, und Rhys kauerte vor ihr. »Ich würde mich selber umbringen. In mehr als einem Sinn. Ich schwöre dir: Keiner von uns beiden kann ohne den anderen überleben.« Er fing ihren Blick ein und sah sie mit erschütternder Aufrichtigkeit an: »Ich liebe dich, Winter.«
Der Satz glitt bis in ihr Herz hinein, ätzend wie Säure.
»Und du mich auch.«
Winter wandte das Gesicht ab. »Ich weiß es nicht. Ich kenne dich nicht mehr.«
Er seufzte, und in dem Geräusch steckte die ganze Traurigkeit, die er empfand.
»Das spielt keine Rolle«, murmelte er müde. »Für immer vereint … nur das zählt.«
Er hatte recht, und das war das Grausamste.
»Ich lasse dir Zeit, bevor ich zurückkomme, um dich zu holen. Wir haben die Ewigkeit zur Verfügung.«
In dem Moment stürmte Hywel Llewelyn in das Zimmer. Er wollte auf seinen Sohn zugehen, doch dann blieb er stehen.
Rhys wollte ihn ansehen, doch er konnte den Blick nicht von Winters Gesicht abwenden.
»Was ist los?«, fragte er.
»Der Orden hat entschieden«, sagte sein Vater.
Einen Augenblick, bevor
Weitere Kostenlose Bücher