Silver Linings (German Edition)
dann sieht sie zu mir hoch.
In dem Moment, bevor ich weglaufe, sagt sie: «Du bist ein Tier, Pat. Und ich werde dich nie wieder lieben.»
Ich weine in meinen Träumen, und jedes Mal, wenn die Erinnerung aufblitzt, versuche ich, den Giants-Fan nicht zu schlagen, aber ich kann mein Traum-Ich genauso wenig kontrollieren, wie ich mein waches Ich kontrollieren konnte, nachdem ich das Blut an Jakes Händen gesehen hatte.
Ich erwache von dem Geräusch der Kellertür und sehe Licht durch das kleine Fenster über dem Wäschetrockner hereinfallen. Ich gehe die Treppe hoch und kann kaum glauben, dass die Sportseiten dort liegen.
Ich bin sehr aufgewühlt von dem Traum, den ich hatte, aber ich mache mir klar, dass es eben nur ein Traum war und dass mein Vater mir trotz allem, was passiert ist, und nach einer der schlimmsten Eagles-Niederlagen aller Zeiten noch immer die Sportseiten hinlegt.
Also atme ich tief durch. Ich erlaube mir, wieder Hoffnung zu schöpfen, und fange mit meinem üblichen Trainingsprogramm an.
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Miss Dreckschleuder
Ich bin mit Tiffany im Crystal Lake Diner. Wir sitzen am selben Tisch wie letztes Mal, essen unsere kleine Portionspackung Vollkornmüsli, trinken Tee. Auf dem Weg hierher haben wir nicht geredet. Wir haben nicht geredet, während wir darauf warteten, dass unsere Kellnerin Milch, Schale und Packung brachte. Allmählich begreife ich, dass wir die Art von Freundschaft haben, die nicht vieler Worte bedarf.
Während ich zusehe, wie sie die braunen Flocken und gezuckerten Rosinen zwischen ihre rosa Lippen löffelt, überlege ich, ob ich ihr erzählen will, was bei dem Eagles-Spiel passiert ist.
Seit zwei Tagen muss ich immer wieder daran denken, wie der kleine Junge geweint hat, wie er sich hinter dem Bein seines Vaters versteckt hat, und ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich den kräftigen Giants-Fan niedergeschlagen habe. Meiner Mom habe ich es nicht erzählt, weil sie das aufgeregt hätte. Mein Vater hat nicht mehr mit mir gesprochen, seit die Eagles gegen die Giants verloren haben, und Dr. Cliff sehe ich erst am Freitag. Außerdem glaube ich allmählich, dass Tiffany die Einzige ist, die mich verstehen könnte, weil sie anscheinend ähnliche Probleme hat und dauernd explodiert, wie neulich am Strand, als Veronica sich verplappert und in meinem Beisein Tiffanys Therapeutin erwähnt hat.
Ich sehe Tiffany an, wie sie krumm dasitzt, beide Ellbogen auf dem Tisch. Sie trägt ein schwarzes Shirt, das ihr Haar noch schwärzer aussehen lässt. Zu viel Make-up im Gesicht, wie üblich. Sie sieht traurig aus, und gleichzeitig sieht sie zornig aus. Sie sieht anders aus als alle, die ich kenne – sie kann nicht dieses fröhliche Gesicht aufsetzen, wie es andere machen, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Sie setzt kein Gesicht für mich auf, und deshalb vertraue ich ihr irgendwie.
Plötzlich schaut Tiffany auf und blickt mir in die Augen. «Du isst nicht.»
«’tschuldigung», sage ich und blicke nach unten auf den glitzernden Goldglimmer in der Plastikbeschichtung des Tisches.
«Die Leute halten mich für verfressen, wenn sie mich essen sehen und du bloß zuguckst.»
Also tauche ich meinen Löffel in die Schale, wobei ein paar Tropfen Milch auf den glitzernden Tisch fallen, und schiebe mir einen kleinen Berg milchgetränktes Vollkornmüsli in den Mund.
Ich kaue.
Ich schlucke.
Tiffany nickt und sieht dann wieder aus dem Fenster.
«Bei dem Eagles-Spiel ist was Schlimmes passiert», sage ich und wünschte im selben Moment, ich hätte es nicht getan.
«Ich will nichts über Football hören.» Tiffany seufzt. «Ich hasse Football.»
«Es hat eigentlich nichts mit Football zu tun.»
Sie starrt weiter aus dem Fenster.
Ich sehe hinaus und vergewissere mich, dass da draußen bloß parkende Autos sind, nichts Interessantes. Und auf einmal rede ich. «Ich hab einen Mann so fest geschlagen − er hat sogar vom Boden abgehoben −, dass ich befürchtet hab, ich hätte ihn vielleicht umgebracht.»
Sie sieht mich an. Tiffany blinzelt und lächelt irgendwie, als würde sie vielleicht sogar lachen. «Und? Hast du?»
«Hab ich was?»
«Den Mann umgebracht.»
«Nein. Nein, hab ich nicht. Ich hab ihn k.o. geschlagen, aber später ist er wieder aufgewacht.»
« Hättest du ihn umbringen sollen?», fragt Tiffany.
«Ich weiß nicht.» Ihre Frage verblüfft mich. «Ich meine, nein! Natürlich nicht.»
«Warum hast du ihn dann so fest geschlagen?»
«Er hat
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