Silver Linings (German Edition)
wohltuend fremdartig.
Zwei lederne Ruhesessel stehen einander gegenüber. Spinnenartige Pflanzen – lange Ranken voller weiß-grüner Blätter – hängen von der Decke und umrahmen ein Erkerfenster, durch das ein steinernes Vogelbad und ein Garten voller bunter Blumen zu sehen sind. Doch außer einer Großpackung Papiertaschentücher auf dem kurzen Stück Boden zwischen den Ruhesesseln befindet sich absolut nichts in dem Raum. Er ist mit glänzendem hellem Parkett ausgelegt, und Decke und Wände sind so gestrichen, dass sie aussehen wie der Himmel – echt wirkende Wolken schweben um das ganze Büro herum, was ich als gutes Omen auffasse, weil ich Wolken liebe. Eine einzelne Lampe, wie eine leuchtende umgedrehte Sahnetorte, nimmt die Mitte der Decke ein, die rings um die Lampe mit einer Sonne bemalt ist. Freundliche Strahlen recken sich von der Mitte nach außen.
Ich muss gestehen, ich fühle mich ruhig, sobald ich Dr. Patels Büro betrete, und es macht mir nichts mehr aus, dass ich den Song von Kenny G gehört habe.
Dr. Patel fragt, in welchem Ruhesessel ich mich entspannen möchte. Ich entscheide mich für den schwarzen anstelle des braunen und bedauere meine Wahl gleich wieder, weil ich denke, dass meine Entscheidung für den schwarzen mich depressiver wirken lässt, als wenn ich den braunen genommen hätte, dabei bin ich überhaupt nicht depressiv.
Als Dr. Patel Platz nimmt, zieht er den Hebel seitlich an seinem Sessel, um die Fußstütze anzuheben. Er lehnt sich zurück und verschränkt die Finger hinter seinem kleinen Kopf, als wollten wir uns zusammen ein Baseballspiel anschauen.
«Entspannen Sie sich», sagt er. «Und ‹Dr. Patel› klingt so förmlich. Nennen Sie mich Cliff. Ich gestalte die Sitzungen gern zwanglos. Freundlich, ja?»
Er wirkt ziemlich nett, also ziehe auch ich an meinem Hebel, lehne mich zurück und versuche, mich zu entspannen.
«Nun denn», sagt er. «Dieser Kenny-G-Song ist Ihnen ziemlich an die Nieren gegangen. Ich bin auch nicht gerade ein Fan von ihm, aber …»
Ich schließe die Augen, summe einen einzelnen Ton und zähle im Geist bis zehn, leere meinen Kopf.
Als ich die Augen öffne, sagt er: «Möchten Sie über Kenny G sprechen?»
Ich schließe die Augen, summe einen einzelnen Ton und zähle im Geist bis zehn, leere meinen Kopf.
«Okay. Möchten Sie von Nikki erzählen?»
«Wieso interessieren Sie sich für Nikki?», frage ich, zugegebenermaßen ein wenig trotzig.
«Pat, wenn ich Ihnen helfen soll, muss ich Sie kennenlernen, ja? Ihre Mutter hat mir erzählt, Sie wollen wieder mit Nikki zusammenkommen, dass das ihr vorrangiges Lebensziel ist – also denke ich, wir fangen am besten damit an.»
Ich fühle mich auf Anhieb etwas besser, weil er nicht sagt, eine Wiedervereinigung sei ausgeschlossen, was darauf hinzudeuten scheint, dass Dr. Patel eine Versöhnung mit meiner Frau immerhin für möglich hält.
«Nikki? Sie ist toll», sage ich und lächele, weil ich die Wärme spüre, die sich immer in meiner Brust ausbreitet, wenn ich ihren Namen ausspreche, wenn ich ihr Gesicht vor meinem geistigen Auge sehe. «Sie ist das Beste, was mir je im Leben passiert ist. Ich liebe sie über alles. Und ich kann’s gar nicht erwarten, bis die Auszeit vorbei ist.»
«Auszeit?»
«Genau. Auszeit.»
«Was meinen Sie mit Auszeit?»
«Vor ein paar Monaten hab ich zugestimmt, Nikki mehr Freiraum zu lassen, und sie hat zugestimmt, zu mir zurückzukommen, wenn sie das Gefühl hat, ihre eigenen Probleme so weit gelöst zu haben, dass wir wieder zusammen sein können. Wir sind also sozusagen getrennt, aber nur vorübergehend.»
«Warum haben Sie sich getrennt?»
«Hauptsächlich, weil ich sie vernachlässigt habe und ein Workaholic war – ich hab den Fachbereich Geschichte an der Jefferson High School geleitet und war Trainer von drei Sportteams. Ich war nie zu Hause, und sie ist vereinsamt. Außerdem hab ich mich äußerlich gehenlassen, hatte schätzungsweise zehn bis siebzig Pfund Übergewicht, aber ich arbeite an diesen Defiziten und bin jetzt gerne bereit, eine Paartherapie zu machen, wie sie das wollte, weil ich ein anderer Mensch geworden bin.»
«Haben Sie einen Termin festgesetzt?»
«Einen Termin?»
«Für das Ende der Auszeit?»
«Nein.»
«Dann ist diese Auszeit also unbefristet?»
«Theoretisch ja – könnte man sagen. Vor allem, weil ich keinen Kontakt zu Nikki oder ihrer Familie aufnehmen darf.»
«Wieso das?»
«Ähm … das weiß ich nicht genau.
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