Silvermind (German Edition)
außer Kontrolle geriet. Was würde der Mistkerl noch alles tun? Lora regte sich leicht, schlug verschlafen die Augen auf und sah ihn an.
„Ray“, nuschelte sie.
„Hey meine Maus. Wie fühlst du dich?“
„Kaputt.“ Ray nickte. Sie hatte einen anstrengenden Tag gehabt, dann der Unfall …
„Ruhe dich noch ein bisschen aus. Mache einfach die Augen zu, Lora. Ich bin bei dir.“
„Wie spät ist es?“
„Zweiundzwanzig Uhr.“
„Oh Gott Ray, du musst los. Dein Auftritt in der Bar. Du sollst doch singen. Das hast du mir versprochen.“
Ihre grauen Augen funkelten in der Dunkelheit. Lora starrte ihn erschrocken an.
„Ich weiß. Aber du bist mir wichtiger.“
„Mir passiert nichts, Ray. Seit wann brichst du deine Versprechen?“
„Ich habe es nicht gebrochen. Noch ist Zeit.“
„Dann fahre endlich dorthin. Oder ich rede kein Wort mehr mit dir.“
Lora verschränkte die zierlichen Arme. In Anbetracht der Umstände konnte Ray über diese trotzige Geste nicht lächeln.
„Ich will dich nicht alleine lassen. Roger ist ...“
„Er war es wirklich nicht, Ray. Ich bin ungünstig auf die Stufe getreten. Es wird mir nichts passieren. Vertrau mir.“
Ihre naive Zuversicht in allen Ehren, aber er glaubte es nicht. Ray wusste, wozu sein Vater fähig war. Wie schmerzhaft die Schläge waren, wie weh die Wunden taten, die innerlich gerissen wurden, nie ganz verheilten. Ray hatte es durch, steckte immer noch mitten in der Hölle und verbrannte jeden Tag ein Stück mehr. Aber er wusste auch, dass er momentan machtlos war, nichts unternehmen konnte, keine Basis für ein neues Leben hatte. Zudem wollte er Lora nicht enttäuschen.
„Okay, ich verschwinde“, meinte Ray resigniert.
„Alles klar, Bruderherz. Ich drück dir die Daumen.“
Ray gab ihr einen Kuss auf die Wange, wuschelte ihr durch die Haare und stand auf. Dean würde bereits auf ihn warten und nicht gerade erfreut sein. Er war eine halbe Stunde zu spät. Ray schnappte sich seine Sachen und verließ mit einem letzten Gruß die Wohnung.
***
Draußen war es kalt, der Winter war zurückgekehrt, obwohl nach Kalender der Frühling begonnen hatte. Ray vergrub die Hände tief in den Jackentaschen. Dean würde bei der U-Bahn stehen, so wie sie es abgemacht hatten. Ray hatte keine Ahnung, ob er in der Bar noch spielen durfte oder nicht, da er sich verspätete, aber letztlich war ihm das egal. Entweder es klappte oder nicht.
Ray stieg in die U-Bahn, dachte die Fahrt über nach, ging den Text mehrfach durch. Er konnte ihn beinahe perfekt. Aber im Ernstfall ging bekanntlich viel schief. Nach zehn Minuten stieg er aus und entdeckte seinen Freund an einem Laternenpfahl stehen. Wie angenommen war dieser nicht sehr angetan von seiner Verspätung.
„Du bist zu spät“, bekam Ray als Begrüßung. Er seufzte tief.
„Ich weiß. Es tut mir leid. Lora ist die Treppe runter gefallen. Ursprünglich wollte ich gar nicht kommen.“
„Und mir davon nichts sagen?“
„Sorry Mann. Ich habe in dem Moment nicht daran gedacht. Jetzt bin ich ja hier.“
„Okay. Dann belassen wir es dabei. Es gibt sowieso eine Planänderung. Du wirst heute nicht spielen. Zumindest nicht in der Bar. Die meinten, dass du woanders hinkommen sollst.“ Verwundert zog Ray eine Augenbraue hoch.
„Wieso das?“
„Der Betreiber der Bar veranstaltet heute eine Feier für irgendeinen Bekannten. Du bist sozusagen Hauptakt. Lust drauf? Wäre ziemlich blöd, wenn du jetzt absagst.“
„Äh klar …“
Etwas verwirrt folgte Ray Dean und runzelte die Stirn.
„Welchen Song soll ich singen?“
„Ich würde vorschlagen, dass du ´Hurt` von ´Silvermind` singst. ´Downfall` wäre unangebracht. ´Hurt` ist intensiver, ein bisschen … dunkler. Deine Coverversion ist geil. Ich denke, damit könntest du Eindruck schinden“, meinte Dean Schulter zuckend.
Gemeinsam gingen sie ein ganzes Stück, bis sie vor einer alten Fabrikhalle ankamen. Es herrschte eine merkwürdige Unruhe auf dem Hof. Zwar war der Parkplatz bis auf zehn Autos leer, kein Mensch war zu sehen, doch Ray spürte die Schwankungen um sich herum. Dieser Ort verhieß nichts Gutes. Es war die Ungewissheit, die sich plötzlich nagend in ihm festsetzte. Ray wusste nicht, was ihn erwarten würde und das machte ihn nervös.
„Alles klar bei dir?“
„Jap“, nickte Ray und stolzierte weiter. Er ging Richtung Eingang. Bevor er diesen erreichte, wurde er von seinem Kumpel zurückgehalten.
„Ray …
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