Silvermind (German Edition)
weiter.
Nach einer halben Stunde war der letzte Kandidat auf der Bühne. Dieser hatte ein Stück von Johny Cash gewählt. Ganz vorbei an der Stilrichtung. Aber Können zeigte sich in vielerlei Hinsicht. Auch darin, dass man sich anpassen konnte. Wer wusste es, vielleicht konnte es der Typ.
Nach der Nummer wurde dieser aufgefordert, einen eigenen Song zu spielen oder eine Coverversion von einer Gothic-Band. Allerdings konnte der es nicht. Draußen, dachte Ray. Falsches Casting für den Kerl.
„Sind wir endlich durch?“, meldete sich Mark zu Wort, streckte sich im Stuhl und warf Nero einen Blick zu. Dieser sah in seine Unterlagen und nickte.
„Ja.“
„Nicht ganz“, meinte Ray gelassen, stand auf, nahm die Gitarre und trat vor die Gruppe. Vier Augenpaare richteten sich auf ihn. Er musterte die Band, straffte dabei die Schultern. Mark und Zeno erkannten ihn als Erstes, wirkten erstaunt, zeitgleich froh. Blair, der einzig braunhaarige Kerl in der Gruppe, wirkte neugierig. Die bisherige Ausbeute schien mager gewesen zu sein. Nero durchbohrte ihn mit einem stechenden Blick.
„Du willst spielen?“, informierte sich Mark lächelnd. Der Kerl sah mit den schwarzen Haaren und den braunen Augen nicht schlecht aus. Ray zuckte mit den Schultern.
„Eigentlich nicht vor euch.“
„Wieso bist du dann hier?“, hakte Mark verwirrt nach.
„Weil ich Versprechen nicht breche.“
„Okay ...“, meinte der Bassist gedehnt und verstand überhaupt nichts.
„Du hast nicht vor, in die Band zu kommen?“, warf Nero ein. Ray wandte sich ihm zu. Schokoladenbraune Augen musterten ihn. Ein ungewöhnlich intensiver Schauer rann ihm über den Rücken.
„Nicht wirklich. Aber ich spiele für euch, weil ich es jemandem versprochen habe.“
„Welches Stück?“
„Ein Cover von ´Hurt`“, meinte Ray und begab sich zu dem Stuhl auf der Bühne. Er zog die Jacke aus, nahm die Gitarre und räusperte sich …
***
Kapitel 5 – Nero
I died for you
In a sea of broken glass
I bled for you
On the abyss of your soul
But today …
Flowing pain runs through my veins
Sometimes I want to show you
How much you torture
.
.
.
Nero beobachtete Ray genau. Wie dieser die Finger über die Saiten gleiten ließ, diese locker aus dem Handgelenk anschlug, nicht auf die Bünde schaute, sondern die Augen geschlossen hielt. Ray erweckte die Musik zum Leben.
Nero lauschte auf die Töne, auf den Text. Der Goth hatte Einiges daran geändert, was dem Stück zur Perfektion verhalf. Dessen Stimme war tief, wohlklingend, warm, unglaublich gefühlvoll. Es war eine Mischung aus Samt auf Stahl. Unbewusst rieb sich Nero die Arme, wollte das Kribbeln der Gänsehaut vertreiben. Ray war definitiv nicht schlecht.
„Hörst du dieses Vibrieren in der Stimme? Echt geil, oder?“, flüsterte ihm Mark zu. Nero strich sein Haar aus der Stirn.
„Eines muss ich ihm lassen. Von dem, was er tut, versteht er alles.“
„Ich hab doch gesagt, er passt perfekt“, schmunzelte Mark und boxte ihm leicht in die Seite.
„Wir kriegen es hin, den zu überreden, oder? Der hat aus ´Hurt` etwas absolut Fantastisches gemacht.“
Nero nickte. Ja, in der Hinsicht musste er Mark zustimmen. Ray hatte tatsächlich etwas vollbracht, was er selbst nicht für möglich gehalten hätte. Er war immer der Meinung, dass seine Texte, seine Melodien bereits an den Status ´perfekt` heranreichten. Jetzt sah er sich getäuscht. Denn was vorne auf der Bühne gespielt wurde, zeigte ihm, dass man mit einfallsreichen Ideen viel, viel mehr erreichen konnte.
Dennoch störte ihn der Gedanke, dass der Kerl hier aufkreuzte, keinen nennenswerten Grund dafür auf Lager hatte und ihnen mitteilte, dass er nicht in die Band wollte. Das verstand Nero nicht. Der Typ war absolut genial. Wahrscheinlich sah der es selbst nicht. Diese Verleugnung des Talents, so schien es Nero, war keine falsche Bescheidenheit, sondern Heuchelei.
Set me free
Break out of shackles
Tear up the threads
Those hold me captive
Set me free
Please
Das Flehen in der Stimme, die tiefe Emotionalität ließen ihm Schauer über den Rücken laufen. Nero wusste nicht, wann er das letzte Mal von einer Person wirklich beeindruckt gewesen war. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und lauschte dem Klang. Einmalig.
Letztlich war der Titel zu Ende. Nero wurde fast ruckartig aus dem Trance ähnlichen Zustand heraus befördert. Missmutig stellte er fest, dass er es bedauerte. Sein Musiker-Herz hatte
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