Silvermind (German Edition)
hältst du davon, mit mir nach oben zu gehen?“, wandte er sich an die Kleine. Sie nickte und rutschte vom Stuhl. Als Nero aus dem Zimmer ging, warf er einen letzten Blick auf Ray. Vielleicht brauchte der eine Frau zum Reden. Neros Mutter war einfühlsam und würde ihn verstehen. „Na komm“, meinte er zu Lora, die vor ihm stehen geblieben war.
„Verstehst du dich mit meinem Bruder nicht?“, erkundigte sie sich, als sie in seinem Jugendzimmer angekommen waren und auf alte Bilder sahen. Nero war lange nicht mehr hier gewesen. Alles sah genauso aus wie früher. Die Wände waren dunkelblau gestrichen, in der einen Ecke stand das Bett, in der gegenüberliegenden der Schrank. Ein Bücherregal zierte die Fensterseite, Poster waren an die Decke gepinnt. Ein Hauch seines damaligen Aftershaves lag in der Luft. Vielleicht stand die Flasche irgendwo ...
„Wie kommst du darauf?“
„Ihr schaut euch so merkwürdig an, und immer, wenn Ray mit dir geredet hat, war er danach anders.“
„Du beobachtest sehr gut.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, beharrte sie ernst. Nero ließ sich auf das Bett sinken.
„Wir sind nicht immer einer Meinung. Das ist alles.“
„Mögt ihr euch nicht?“ Nero wusste, worauf das Gespräch hinauslaufen würde. Er klopfte neben sich auf die Decke. Lora kam zu ihm.
„Spuck´s aus, Kleine. Was möchtest du wirklich wissen?“
„Ich hab gedacht, ihr würdet zusammenkommen. Aber ...“ Sie seufzte schwer. Nero, dem es schwerfiel, bei der Kleinen nicht emotional schwach zu werden, zog sie an sich. „Es ist nicht immer so einfach, weißt du“, meinte er mitfühlend. Dieses Mädchen machte sich um Dinge Gedanken, die zu kompliziert für ihr Alter waren.
„Gefühle kann man nicht erzwingen. Du wünschst dir jemanden, der für deinen Bruder da ist und ihn glücklich macht. Ersteres kann ich als guter Freund sein, aber ich bin nicht derjenige, der Ray das geben könnte, was er braucht. Ich mag deinen Bruder ganz gern, doch das reicht manchmal nicht, verstehst du?“ Lora nickte traurig, die Hände in ihrem Schoss gefaltet. „Wirst du auf ihn aufpassen, wenn ihr auf Tour seid?“
„Ja, das werde ich. Darauf hast du mein Wort.“ Er mochte es nicht, Rays Schwester enttäuschen zu müssen, wollte ihr aber keine falschen Hoffnungen machen. Alles, was in seiner Macht stand, würde er tun, um für Ray ein Freund zu sein. Doch in Anbetracht der Umstände war der Rest ausgeschlossen.
Sie wandten sich belangloseren Themen zu. Nero zeigte ihr ein paar alte CDs und Zeitungsartikel, erzählte ihr von seiner Vergangenheit. Aufmerksam hörte sie ihm zu. Nach einer Weile ließ er sie alleine im Zimmer zurück und stieg die Treppe hinunter. Unten ihm Flur sah er Lydia stehen, eine Hand auf den Mund gepresst, die Schulter bebend.
„Was ist los?“, erkundigte er sich besorgt. Nero nahm sie in die Arme. Seine Mutter lehnte sich an seine Brust und schluchzte leise.
„Pscht, ist ja gut. Was ist passiert?“
„Ich sollte nicht weinen. Kindisch so etwas“, stieß sie mürrisch aus, schniefte im gleichen Atemzug. „Tränen sind nicht kindisch, Mama.“
„Ich nehme Lora auf. Sie kann so lange bleiben, wie sie möchte.“
„Hat dir Ray erzählt, was sein Vater ...“
„Hör auf, Nero. So einen Menschen kann man nicht Vater nennen. Schrecklich. Furchtbar grausam. Wie hat Ray es geschafft, solange durchzuhalten?“
„Ich weiß es nicht“, gestand Nero ehrlich.
„Ich möchte, dass du ihm hilfst, wenn du wieder da bist. Er braucht jemanden, der ihm zeigt, dass das Leben schön sein kann.“ Anscheinend hatten sich die Frauen heute abgesprochen. Nero schloss die Augen und atmete tief ein.
„Ich werde versuchen, mein Bestes zu geben, okay?“
„Du kannst sehr vernünftig sein, Nero. Ich weiß, dass du das Richtige tun wirst.“ Vielleicht. Nero war sich bei Ray nicht zu hundert Prozent sicher. Er löste sich von Lydia, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging ins Esszimmer. Ray saß verlassen auf einem Stuhl, den Blick starr nach vorn gerichtet, das Gesicht verschlossen. Harte Fassade.
„Alles okay bei dir?“ Ray nickte.
„Wie geht es deiner Mutter?“
„Gut. Sie braucht nur einen Moment.“ Nero setzte sich neben ihn. „Bist du damit einverstanden, dass Lora hier bleibt?“ Ray presste die Lippen zusammen, dann nickte er erneut.
„Und wie geht es dir?“
„Ich würde gerne fahren, wenn es dir nichts ausmacht.“ Nero musterte ihn für einen
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