Silvy macht ihr Glück
konnte.“
„Nein, natürlich nicht. Man muß doch einander helfen. Haben Sie ihn bis ganz nach Fornebu gefahren?“
„Ja. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, gnädige Frau?“
„Nein, selbstverständlich nicht. In so einer Lage muß man sich doch wirklich hilfsbereit zeigen. Hören Sie, Fräulein Eriksen, wir sollten eigentlich zum Schneider gehen und Ihre Livree bestellen.“
Sylvis Herz machte einen Hüpfer.
„Ja, aber, gnädige Frau – ich bin ja noch gar nicht fest angestellt.“
„Sind Sie nicht…?“Frau Allen sah sie verblüfft an, dann begann sie zu lachen.
„Meine Liebe, das habe ich ganz vergessen. An unsere Absprache mit der Probezeit habe ich gar nicht mehr gedacht. Selbstverständlich sind Sie fest angestellt, daran haben Sie doch nicht gezweifelt? Gehen Sie hinein und essen Sie etwas. Nachher möchte ich mit Ihnen sprechen.“
Magnhild hatte das Mittagessen warm gehalten, und Sylvi fiel darüber her.
„Du fährst wie ein Mann, und du ißt wie ein Mann“, lachte Magnhild. Sie hatte es gern, wenn ihr Essen schmeckte.
„Und du kochst wie ein Engel“, sagte Sylvi. „Ich muß mir wohl bei den Nähten in meiner Livree viel Spielraum machen lassen, denn wenn du mich weiterhin so gut fütterst, werde ich bald so dick wie…“
„… wie ich“, ergänzte Magnhild. Sie war Schwergewichtsklasse und wußte das selbst, trug aber ihre vielen Kilo mit Freundlichkeit und Humor.
Sylvi sah in den Spiegel, glättete ihr Haar und klopfte dann an die Tür zum Herrenzimmer.
„Setzen Sie sich, Fräulein Eriksen. – Da war nun zunächst die Livree. Ich denke, wir nehmen silbergrau, so wie das Auto. Das wird Sie auch kleiden.“
„Silbergrau wäre hübsch, gnädige Frau.“
„Und dann wollen wir eine Leinenjacke für Sie bestellen, für die wärmeren Tage. So, das war das. Aber ich wollte noch über etwas anderes mit Ihnen sprechen. Ich reise, das heißt, wir reisen im nächsten Monat ins Ausland. Ich dachte, durch Schweden, Dänemark, Norddeutschland, Belgien zu einem neuen Badehotel in der Bretagne. Belville heißt es. Also bringen Sie Ihren Paß in Ordnung, und wenn Sie noch irgend etwas für Ihre Kleiderbrauchen, können Sie gern einen Vorschuß bekommen.“
„Danke, gnädige Frau, ich glaube nicht, daß ich den brauche. Was meinen Sie denn, was ich mitnehmen soll?“
„Ja, im allgemeinen tragen Sie ja die Livree. Aber Sie sollen doch auch Ihre Freizeit haben, also nehmen Sie ein paar hübsche Sommerkleider mit, Badezeug natürlich, vielleicht auch ein Abendkleid. Nun ja, Sie sind ja schon im Ausland gewesen, und da wissen Sie, was gebraucht wird.“
„Gewiß, gnädige Frau. Ich weiß ja, was ich mithatte, als ich Herrn Generaldirektor Stahr fuhr.“
„Das ist gut. Also das Auto morgen um halb zehn. Heute brauche ich Sie dann nicht mehr.“
Die Audienz war beendet, und Sylvi tanzte den Korridor entlang in die Küche. Du lieber Himmel, was für eine wunderbare Stellung sie da doch ergattert hatte!
Niemand hätte vermuten können, daß Sylvi um fünf Uhr ein solides Mittagessen verzehrt hatte. Denn um halb neun saß sie ihrem Bruder gegenüber und hieb hemmungslos in Hegards „Extraverpflegung“ ein, wie Hanne die leckeren kleinen Gerichte nannte, die sie für ihn bereithielt, wenn er müde heimkehrte.
Sylvi erzählte. Sie strahlte und glühte dabei. Sie erzählte von dem wunderschönen Auto, der bevorstehenden Reise, der freundlichen Frau Allen, erzählte, daß sie an demselben Tag eine rasche Tour nach Ringerike gemacht hatte, sie erzählte dies und das, aber etwas erwähnte sie nicht: ihre Begegnung mit Jörn Hallgren. Warum sie davon nicht erzählte, wußte sie selber nicht.
„Und Frau Allen weiß immer noch nicht, daß du meine Schwester bist und Vaters Tochter?“ fragte Hegard.
Sylvi schüttelte den Kopf. „Nein, und sie soll es auch nicht wissen. Und erst recht nicht ihr Umgangskreis. Uff, ich darf gar nicht daran denken, wie die Leute tuscheln und wispern würden und vor Mitleid zerfließen. Und noch etwas: Wenn Frau Allen wüßte, daß ich eine Schiffsreederstochter bin und bis vor einem halben Jahr zu den ,oberen Zehntausend’ gehörte – oder sollen wir sagen die, oberen Tausend’, denn in unserer Stadt gab es sicher nicht Zehntausend –, dann würde es zu kompliziert für sie werden. Dann würde sie sich verpflichtet fühlen, mich als weiblichen Gentleman-Chauffeur zu behandeln. Jetzt geht alles so glatt, daß es eine Freude ist. Ich gehöre zur
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