Silvy macht ihr Glück
dann? Wurde er zudringlich?“
„Oh, er versuchte es. Aber dann tat ich so, als ob das Auto eine Panne hätte. Das war ganz leicht, er hatte ja von dieser Bremsengeschichte gehört. Ich überredete ihn auszusteigen, um das Auto nach rechts an den Rand der Landstraße zu schieben. Und dann – bin ich ihm davongefahren.“
Frau Allens Gesicht wechselte den Ausdruck. Ein schalkhaftes Blinken zeigte sich in den Augen.
„Himmel ja, wie gut es tut, daran zu denken! Ich hoffe, er hat kein einziges Auto von Ljan bis Frognerveien getroffen. Ja, ich wünsche ihm, daß er den ganzen Weg hat laufen müssen.“
Sylvi mußte sich auf die Lippen beißen.
„Damit haben Sie meine geheimsten Wünsche erraten. Ja, gnädige Frau, das waren meine letzten Gedanken, ehe ich in der Nacht einschlief.“
„Aber hören Sie mal, warum in aller Welt haben Sie mir das denn nicht gleich erzählt?“
„Weil – ich war doch nur probeweise angestellt. Ich war bange, daß Sie mich dann nicht behalten würden, weil Sie meinten, es sei zu riskant, ein junges Mädchen als Chauffeur zu haben. Das wollte ich nicht riskieren, denn ich wünschte doch so sehr, meine Stellung zu behalten.“
Auf einmal wirkte das kesse, furchtlose Mädchen recht hilflos, als sie das mit roten Flecken im Gesicht verwirrt stammelte.
„Kind“, sagte Frau Allen, und ihre Stimme wurde weich. „Seien Sie ruhig, Sie werden Ihre Stellung behalten. Und trösten Sie sich, Herr Hernäs wird nie mehr in mein Haus oder in mein Auto kommen. Mein Gott, Kind, ich hätte mir ja nie vergeben können, wenn…“
Aber jetzt war Sylvi wieder sie selbst.
„Vor diesem ,Wenn’ brauchen Sie keine Angst zu haben, gnädige Frau. Ich bin stark wie ein Bär, und wehe dem Mann, der mit mir anbinden möchte.“
„Selbstbewußt sind Sie jedenfalls“, lachte Frau Allen. „Jetzt wollen wir aber ein Abkommen treffen, daß Sie mir in Zukunft nichts verheimlichen, was mit Ihrer Arbeit hierzu tun hat. Versprechen Sie mir das?“
„Ja, gnädige Frau.“
Unwillkürlich streckte Sylvi die Hand aus, und Frau Allen nahm sie.
„Also schön. Fahren Sie jetzt los, und erledigen Sie Ihre Paßgeschichte.“
Sylvi schien es, daß der Motor eine Siegeshymne brummte, während der Wagen auf die Ausfahrt zuglitt und der Kies unter den Rädern knirschte.
Bald hatte Sylvi Gelegenheit, ihre Kräfte zu nützen. Sie zog Koffer Treppen hinauf und herunter, sie probierte, wie man das Gepäck am besten im Auto verstauen konnte, und sie verbrachte soviel Zeit wie möglich in der Garage. Der Wagen wurde gründlich überholt, und sie bat Frau Allen um Ergänzung des Werkzeugs.
Am Abend sah sie ihre Garderobe nach, bügelte Blusen und Kleider, nähte Knöpfe an und erneuerte Gummibänder.
Dann wurde die Livree geliefert. Mit Stolz zeigte sie sich darin. Die Jacke saß wie angegossen, und die Kniehosen waren fesch und kleidsam. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie steckte das K.N.A. - Mitgliedszeichen auf die Mütze.
„Sind Sie denn Mitglied beim Königlichen Automobilklub?“ fragte Frau Allen.
„Ja“, sagte Sylvi, gab aber keine nähere Erklärung. Und Frau Allen fragte auch nicht weiter.
Endlich war der Reisetag da. Sylvi strahlte in ihrer funkelnagelneuen Livree. Im letzten Augenblick hatte Frau Allen noch ein Paar solide Handschuhe für sie gekauft, richtige Chauffeurhandschuhe mit langen Manschetten. Und Sylvi war auf kein Kleidungsstück so stolz, seit sie ihr erstes langes Ballkleid bekommen hatte.
Dann standen Magnhild und Klara auf der Treppe und winkten, und Sylvi fuhr den vollgepackten Wagen langsam durch das Tor.
Die Zollkontrolle ging rasch, sie waren nun in Schweden. In einer ländlichen Wirtschaft aßen sie zu Mittag. Frau Allen nahm Sylvi ganz selbstverständlich mit hinein. Sie plauderte bei Tisch über das Wetter, über die Reiseroute, über das Auto, berührte aber keine persönlichen Dinge.
„Ich setze mich ein wenig zu Ihnen nach vorn“, sagte sie, als sie weiterfuhren.
Nun rollten sie also weiter gen Süden.
„Sind Sie nicht froh, daß die Schweden endlich den Rechtsverkehr eingeführt haben?“ fragte Frau Allen.
„Und ob!“ lächelte Sylvi. „Als ich das erstemal diese Strecke fuhr, war noch Linksverkehr. Da mußte ich wie ein Schießhund aufpassen! Solange wir niemand begegneten, war es einfach, aber wenn ich ausweichen mußte, habe ich unaufhörlich zu mir selbst gesagt: ,Nach links, Sylvi, nach links!’ – sonst wäre das Steuer ganz von selbst
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