Silvy macht ihr Glück
Arztpraxis in Oslo. Er hatte auch die reizende Hanne und zwei kleine wilde Buben.
„Natürlich mußt du zu uns kommen“, hatte Hegard gesagt. Und Sylvi kam gern.
Sie war froh, die Kleinstadt verlassen zu können, denn da wurde gewispert und geklatscht, alle flossen über vor Mitleid, und sie wollte nicht bemitleidet werden.
„Bin ich vielleicht zu bedauern?“ fragte sie. „So herrlich, wie ich es bisher immer hatte. Es ist Zeit, daß ich auch Ernst und Sorgen im Leben kennenlerne. Ich bin stark wie ein Bär und will sehr gern arbeiten. Das wird schon gehen.“
An diese Worte seiner Schwester dachte Hegard, als sie jetzt über Sylvi sprachen.
„Ich möchte nur wissen, welche Pläne sie eigentlich hat. Es ist wirklich nett, sie hier im Haus zu haben, aber sie muß sich ja einen Arbeitsplatz suchen“, überlegte er.
Gerade hier gab es aber Schwierigkeiten, und sie hatten schon oft darüber gesprochen. Denn Sylvi hatte zwar das Abitur gemacht, aber das allein nützte ihr wenig. Sie hatte auch einige Fremdsprachen gelernt, beherrschte aber keine so gut, daß sie ihre Kenntnisse beruflich verwerten könnte. Die Handelsschule hatte sie nicht besucht, und eigentlich war ihr auch der Gedanke höchst zuwider, daß sie ihre künftigen Tage bei einer gleichförmigen Bürotätigkeit zubringen sollte.
„Versuch es doch als Stewardeß“, hatte Hanne vorgeschlagen.
„Schönen Dank! Ich wiege 64 Kilo und bin 1,71 groß. Und wenn ich eine Abmagerungskur machen sollte, wäre ich bestimmt tot, ehe ich mich bis auf 60 Kilo heruntergehungert hätte“, hatte Sylvi gemeint.
Hanne mußte lachen. Ja, obwohl Sylvi schlank war, stellte sie doch einen ausgeprägt kräftigen Typ dar. Sie strotzte nur so vor Gesundheit.
„Das ist unser gesundes norwegisches Bauernblut“, hatte Hegard lächelnd erklärt. „Du bist dir doch klar darüber, daß wir Emporkömmlinge sind, Sylvi? Unser Vater war die erste Generation in unserer Heimatstadt mit Reichtum und Villa und Auto. Großmutter arbeitete noch im Stall, molk die Kühe, schöpfte Wasser aus dem Brunnen und…“
„Ja, Ehre Großmutters Andenken.“ hatte Sylvi eingeworfen. „Sie war wie aus Eisen, und von ihr haben wir wahrscheinlich unsere eiserne Gesundheit geerbt.“
Schließlich hatten sie vereinbart, daß Sylvi bis nach den Sommerferien bei ihrem Bruder bleiben sollte. Inzwischen wollte sie versuchen, Klarheit zu gewinnen über die Gestaltung ihrer Zukunft.
„Sylvi kommt schon zurecht“, sagte Hanne mit Überzeugung.
Sie blickte zur Tür, denn dort wurde jetzt eine mit Ölflecken verzierte Gestalt sichtbar. Das blonde Haar war zerzaust, und quer über das Gesicht lief ein Schmutzstreifen.
„Die Zündkerzen sind ausgewechselt, geliebter Bruder“, berichtete Sylvi. „Aber wie du fährst, ist mir ein Rätsel. Bist du heute durch einen Steinhaufen gefahren?“
„Was meinst du denn?“ fragte Hegard, und Sylvi konnte in seinen Augen eine Spur von schlechtem Gewissen sehen. Es ließ sich nicht leugnen, daß von den beiden Geschwistern der jüngere und noch dazu der weibliche Teil mehr von Autos und Fahren verstand. Diese Tatsache war natürlich geeignet, bei Dr. Ecker Minderwertigkeitsgefühle aufkommen zu lassen.
„Beichte nur“, sagte Sylvi. „Du bist schrecklich unvorsichtig gefahren, wahrscheinlich zu schnell, bist in einer Kurve einem anderen Auto begegnet, bist in einen Sandhaufen oder Steinhaufen ausgewichen, hast heftig die Bremse getreten, und…“
Hegard mußte lachen.
„Ein Teufelsmädchen“, sagte er. „Das stimmt alles. Und was habe ich dann getan?“
„Das Kniegelenk angeknackst“, sagte Sylvi. „Ja, nicht deins, sondern das vom Auto. Ich muß sehen, ob ich damit morgen früh in die Werkstatt hinunterschleichen kann. Du fährst wie ein Irrer, Hegard.“
Hegard schluckte diese unverblümte Feststellung. Dann saß er in seine Zeitung vertieft, während die beiden Damen sich wieder der durchlöcherten Strümpfe annahmen. Es war vermutlich die kleine Autodiskussion, die Hegard bewog, auf eine Zeitungsanzeige zu deuten und neckend zu seiner Schwester zu sagen:
„Sieh mal her, Sylvi! Wäre das nichts für dich?“
Sylvi beugte ihren blonden Kopfüber die Schulter des Bruders.
„Privatchauffeur gesucht. Gesundheitsattest erforderlich. Sprachkenntnisse erwünscht. Persönliche Vorstellung Mittwoch zwischen 17 und 18 Uhr. Frau Generalkonsul Allen…“
Sylvi riß dem Bruder die Zeitung aus der Hand.
„Hegard, du denkst, du machst Spaß.
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