Silvy macht ihr Glück
Ohrfeige nur sein kann. Ja, ich muß jetzt gehen, ich darf Frau Allen nicht warten lassen.“
Sie ging einige Schritte, hielt inne und wandte sich um.
„Jörn, ich muß dir noch etwas sagen. Du hattest recht mit dem, wovon wir sprachen. Du hattest vollkommen recht.“
Und dann hatte Sylvi es schrecklich eilig. Sie rannte einfach bis zur rückwärtigen Tür. Nun ja, vielleicht rannte sie auch, um nicht naß zu werden, denn gerade in diesem Augenblick begann es zu regnen.
„Guten Morgen, gnädige Frau. Entschuldigen Sie bitte, daß ich in diesem Anzug komme, aber ich wollte keine Zeit mit Umkleiden vertun. Ich war nämlich gerade dabei, das Auto zu putzen.“
„Guten Morgen, Kind. So eilig war es ja gar nicht. Laufen Sie hinauf und ziehen sich um, und kommen Sie dann wieder herunter. Ich möchte gern ein wenig mit Ihnen reden.“
Sylvi zog sich die Livree an und ging zu Frau Allen zurück. Diese saß in einem Morgenkleid in ihrem kleinen Salon und hatte das Radio eingeschaltet. Sie machte es aus, als Sylvi eintrat.
„Regen“, sagte sie dann. „Der Wetterdienst meldet fortgesetzten Regen. Setzen Sie sich und hören Sie zu. Die dumme Galle hat sich heute nacht wieder unliebsam bemerkbar gemacht.“
„Ja, aber Frau Allen, warum haben Sie mich denn nicht gerufen?“
„Es ging ziemlich rasch vorüber. Aber ich weiß, daß ich in den sauren Apfel beißen und ein paar Wochen Diät halten muß. Und ehrlich gesagt, ich finde nicht, daß Belville der richtige Ort ist, um krank zu sein. Das Essen hier ist nichts für eine empfindliche Galle. Und Regenwetterund Gallenentzündung zusammen sind zuviel für mich. Also habe ich den Plan, heimwärts zu ziehen.“
„Jawohl, gnädige Frau. Wann wollen wir fahren?“
„Morgen früh, dachte ich. Passen Sie auf: Wir fahren nach Antwerpen und schicken das Auto per Schiff nach Hause. Wir selbst nehmen ein Flugzeug. Ich habe, ehrlich gesagt, keinen Mut, die lange Autofahrt nach Norwegen zu wagen. Ich habe eine Verbindung in Antwerpen, die sich der Autosache annehmen wird. Also gehen Sie bitte zum Portier, er soll die Rechnung fertigmachen und zwei Flugkarten für uns bestellen, für – ja lassen Sie mich nachdenken –, für Dienstag. Bis Dienstag könnten wir wohl Antwerpen erreichen. Wir übernachten in Rouen. Bitten Sie ihn, zwei Zimmer zu bestellen, am liebsten nebeneinander.“
Sylvi aß später zusammen mit Frau Allen auf deren Zimmer, und der Rest des Tages verging mit Packen. Als am Nachmittag der Regen kurze Zeit aufhörte, zog sie sich ihr Arbeitszeug an und ging in die Garage, um die am Morgen unterbrochene Arbeit zu vollenden. Auf dem Rückweg begegnete sie dem Ehepaar Gordon.
„Ach, Miß Eriksen“, rief Frau Gordon erfreut. „Sie sind also noch da? Wir glaubten schon, Sie wären abgereist. Wir wollten uns in Belville einen vergnügten Abend machen. Der Regen hat uns nämlich die Laune verdorben, und wir müssen uns ein bißchen aufheitern. Mein Mann hat seinen Tennispartner so vermißt.“
„Ach, ist Monsieur Garnier abgereist?“ fragte Sylvi.
„Ja, gestern, ganz plötzlich. Er nahm sich kaum die Zeit, uns Lebewohl zu sagen. Sie sehen so fleißig aus, Fräulein Eriksen, und in Arbeitskleidern?“
„Ja, ich habe Frau Allens Auto geputzt.“
„Wie tüchtig Sie sind. Aber gehen wir rein, ehe es wieder zu regnen anfängt. Bleiben Sie noch eine Weile hier?“
„Nein, morgen fahren wir zurück nach Norwegen.“
11
Heim nach Norwegen. Als Sylvi am nächsten Morgen im Auto saß, fühlte sie, daß die Unrast der letzten Tage langsam schwand. Es war wirklich etwas schwierig gewesen in letzter Zeit, und es würde gut sein heimzukommen.
Vor der Abreise hatte sie Jörn noch einmal getroffen. Sie hatten einen kurzen Händedruck gewechselt, und Jörn hatte gesagt: „Ich vergesse dich nicht, Sylvi“, das war alles.
Jetzt hatte Sylvi das Verdeck geschlossen. Die Wölken waren grau und niedrig, und ein gleichmäßiger Landregen nieselte über die meilenlangen Pappelalleen.
Frau Allen saß an ihrer Seite. Beide schwiegen lange, und beide beschäftigten sich in Gedanken noch mit dem Geschehen der letzten Tage. Es war Frau Allen, die das Schweigen endlich brach.
„Sylvi“, sagte sie, „es gibt etwas, das ich hasse, und das ist Aufdringlichkeit. Aber ich hasse es auch, nicht zu helfen, wenn ich dazu imstande bin. Mit anderen Worten: Ich vermute, daß es Ihnen im Augenblick nicht besonders gutgeht. Vielleicht könnte eine so alte erfahrene Frau
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