Silvy macht ihr Glück
wie ich Ihnen ein wenig mit meiner Lebenserfahrung helfen. Ich will Sie über nichts fragen. Aber wenn Sie einen Menschen brauchen, um sich auszusprechen, dann schießen Sie los.“
Eine schwache Röte stieg in Sylvis Wangen.
„Sie sind so gut, Frau Allen. Aber Sie sollen sich nicht mit den Sorgen Ihrer Angestellten belasten.“
„Unsinn, Kind. Vergessen wir das. Im Augenblick sind Sie nicht meine Angestellte, sondern ein junges Mädchen, dem es vielleicht – vielleicht, sagte ich – guttäte, mit einem älteren erfahrenen Menschen zu reden. Und ich bin im Augenblick nicht Ihr Arbeitgeber, sondern nur so ein älterer erfahrener Mensch. Und wenn ich erraten haben sollte, was mit Ihnen los ist…“
„Wann haben Sie es denn erraten, Frau Allen?“
„Wollen Sie, daß ich es sage?“
„Ja, bitte.“
„Vorgestern, als ich auf der Terrasse saß mit diesen beiden Herren – wie hießen sie doch? Der junge Franzose…“
„Garnier“, sagte Sylvi und fühlte ihre Wangen brennen, „Jean Garnier.“
„Ja, richtig. Und der andere war sein Onkel. Sylvi, wollen Sie wirklich, daß ich weiterrede, oder lieber…“
„Doch, Frau Allen. Wenn Sie sich wirklich mit meinen dummen Geschichten abgeben wollen?“
„Sie kannten Herrn Garnier, nicht wahr? Ich bemerkte sein Gesicht, als er Sie sah. Aber er tat, als ob er Sie nicht kenne.“
„Ja, es ging ihm auf, daß ich Chauffeur war, also zur Dienerschaft gehörte.“
„Ich hatte also recht. So etwas dachte ich mir gleich. Sehen Sie, Sylvi, um so etwas zu verstehen, das für die norwegische Mentalität ganz verrückt erscheint, muß man die Sitten anderer Völker kennen.“
„Ich weiß, Frau Allen. Ich habe schon von den Ansichten gehört, die Franzosen über die Frauen haben. Aber ich glaubte in diesem Fall… Jean war mit mir in Mont-Saint-Michel, Frau Allen, an dem Mittwoch, als sie mir das Auto liehen. Und wir hatten einen so wunderbaren Tag. Und er sagte so viel, daß…“
„… daß er nachher seinen Onkel auf mich losließ.
Er kreiste ja um mich wie die Erde um die Sonne, um möglichst viel über mich herauszufinden und dadurch auch über Sie. Ich zweifle nicht daran, daß der junge Garnier sehr von Ihnen eingenommen war, Sylvi. Aber sehen Sie, darin liegt eben der Unterschied. Wäre ein norwegischer Mann in Sie verliebt gewesen, hätte er gelacht über die kleine Komödie, die Sie ihm vorspielten, indem Sie ihm nicht Ihren Beruf verrieten. Er hätte gesagt: Na wennschon, das bedeutet doch nichts, der eine Beruf ist so gut wie der andere. Aber die Franzosen, sehen Sie, die sind eifriger beim Hofmachen, stürmischer in ihrer Anbetung…“
„Ja, das weiß der Himmel“, brach es aus Sylvi hervor.
„Aber etwas ist stärker als ihre Verliebtheit, das ist die Rücksicht auf die Familie, das Geschäft, die Zukunft. Für ein französisches Mädchen sind die Heiratschancen gering, wenn sie keine Mitgift hat. Viele französische Familien sparen und schränken sich ein, nur um die Aussteuer für ihre Töchter zusammenzukriegen.
Alles sieht ja so blendend aus bei Ihnen, Sylvi. Sie haben hübsche Kleider und ein sicheres Auftreten. Sie fuhren in meinem Auto umher. Garnier wußte nur, daß Sie mit mir zusammen hier waren, es mußte ihm ja einen bestechenden Eindruck machen, daß Sie mit einer älteren und wohlhabenden Dame reisten, nicht wahr? Und dann stürzten alle seine Illusionen zusammen, als sich zeigte, daß das vermeintliche reiche Mädchen bloß ein Chauffeur war, verstehen Sie? Ich meine, man sollte ihm keine Vorwürfe machen. Man muß seine Auffassung verstehen, die durch Generationen überliefert ist. Garnier glaubt jetzt ernstlich, daß ihm Unrecht geschehen ist und Sie ihn zum Narren gehalten haben.“
Sylvi schwieg, dann sagte sie langsam: „Ja, Sie haben sicher recht, Frau Allen. Aber Sie sollen nicht glauben, daß mein Herz gebrochen ist. Ich bin wütend und enttäuscht, ab er verzweifelt bin ich nicht. Also“ - Sylvi lächelte ein wenig – „kann es wohl doch nicht die große Liebe gewesen sein.“
„Liebes Kind“, sagte Frau Allen ernst, „die große Liebe kommt selten an einem Badestrand und im Laufe weniger Tage. Die große Liebe kommt erst, wenn man einen Menschen bis auf den Grund kennt. Eine Verliebtheit kann an einem Badestrand oder auf einer Autotour entstehen, aber Liebe, das ist etwas ganz, ganz anderes, sie liegt auf einer anderen Ebene. Liebe sitzt immer tiefer, darin ist Opferwille und Uneigennützigkeit, sie ruht
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