Silvy macht ihr Glück
„Madame, das Auto steht bereit, falls Sie…“
Beim Klang ihrer Stimme drehte Jean sich um, und Sylvi erkannte ihn jetzt. Sie konnte ihr Lachen kaum beherrschen und blinzelte Jean unmerklich zu. Aber sein Gesicht war bleich unter der Sonnenbräune und wirkte wie versteinert.
„Danke, Fräulein Eriksen, ich warte noch ein bißchen. Fahren Sie inzwischen zum Tanken, und holen Sie bitte die Autodecke herunter. Ich rufe an, wenn ich Sie brauche.“
„Sehr gern, Madame.“
Sylvi warf noch einen fragenden Blick auf Jean. Er hatte den Kopf weggedreht und starrte unentwegt in den Park.
„Sehr gern, Madame“, wiederholte Sylvi mechanisch und wandte sich um.
Die Beine waren so schwer, als sie die Treppe hinabstieg. Es schien ihr, als sei die Welt um sie herum in Trümmer gegangen.
An Frau Allens Tisch war das muntere Gespräch durch Sylvis Erscheinen ins Stocken geraten. Der charmante Herr Garnier war plötzlich so zerstreut geworden. Seine freundliche Redegewandtheit war verschwunden.
Der Onkel sah ihn lächelnd an, dann fragte er Frau Allen: „Madame hat einen weiblichen Chauffeur? Wie originell.“
„Ja, es ist vielleicht nicht allgemein üblich. Aber Fräulein Eriksen ist ein ungemein tüchtiger Chauffeur und außerdem ein sehr einnehmender junger Mensch.“
„Sie sieht ja prachtvoll aus, muß ja geradezu ein Schmuck für das Auto von Madame sein, und ein bescheidenes Wesen…“
„Ja, sie ist sehr gebildet und höflich. Ein seltener Mensch, weil sie tatsächlich ihren Platz kennt. Man kann ihr sehr gut eine Freundlichkeit erweisen, ohne daß sie dann gleich zudringlich wird.“
„Onkel“, sagte Jean. „Madame will ja eine Autotour machen, soweit ich verstehen konnte. Laß uns Madame nicht aufhalten.“
„Nein, selbstverständlich nicht. Auf Wiedersehen, Madame.“
Handkuß, Verbeugung. Dann gingen Onkel und Neffe die Treppe hinunter.
Frau Allen blieb sitzen und sah Jean Garnier nachdenklich nach. Sie hatte eine Falte zwischen den Brauen.
Sylvi fühlte sich vollkommen elend. Sie fürchtete sich davor, Jörn zu begegnen, und sie fühlte sich immer bedrückter, wenn sie an gestern dachte und die Szene an der Treppe. Denn Sylvi konnte wohl heftig werden, aber sie konnte auch nüchtern und objektiv urteilen, und sie war im Grunde sehr gerecht. Jetzt war ihr peinlich klar, wie abscheulich sie sich benommen hatte und wie sehr sie die Ohrfeige verdient hatte.
Hinzu kam die Begegnung mit Jean Garnier, sein seltsames Verhalten, das sie sich nicht erklären konnte. Machte es denn etwas aus, daß sie ein berufsmäßiger Chauffeur war? Hatte er mit einem Schlag den vorgestrigen Tag vergessen? Vergessen die Küsse, vergessen alle die schönen Augenblicke, die Liebkosungen, als sie in der samtschwarzen Nacht heimwärts gingen?
„Sie sind so blaß, Kind“, sagte Frau Allen, als sie ins Auto stieg. „Ich habe Ihnen sicher allzuviel von ihrem nächtlichen Schlaf geraubt.“
„Aber nein, gnädige Frau. Wie geht es Ihnen denn? haben Sie heute gar keine Schmerzen?“
„Nein, Gott sei Dank! Aber ich fühle mich, ehrlich gesagt, nicht ganz sicher. Wenn diese böse Galle erst anfängt, dann wird es problematisch.“
„Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann, gnädige Frau?“
„Danke, Kind, ich werde es sagen, wenn es nötig ist. Sie waren heute nacht eine geschickte Krankenpflegerin.“
Sylvi begann zu fahren. Ihr Gesicht schien heute schmal und klein unter der feschen Mütze.
„Halten Sie bitte“, wünschte Frau Allen bald.
Sylvi gehorchte.
„Ich möchte gern etwas vorn sitzen.“
Sylvi half Frau Allen umsteigen und legte die Decke sorgsam um ihre Knie. Es war heute kühl und sah aus, als ob es bald regnen würde.
„Also fahren wir weiter. Nur um die Bucht herum und dann wieder zurück.“
„Jawohl, gnädige Frau.“
Frau Allen blickte in das regelmäßige Profil an ihrer Seite. Sie dachte daran, daß sie das junge Mädchen eigentlich schon recht liebgewonnen hatte.
„Sylvi?“
„Ja bitte, gnädige Frau?“
„Haben Sie etwas dagegen, daß ich Sie Sylvi nenne?“
„Nein, gnädige Frau, im Gegenteil, es freut mich sehr.“
„Ich möchte Ihnen gern etwas vorschlagen, Sylvi.“
„Ja, gnädige Frau?“
„Haben Sie gemerkt, daß ich im Grunde recht einsam bin?“
„Ja, ich habe oft darüber nachgedacht.“
„Mein Mann und ich, wir waren so glücklich. Ich habe in meinem Leben nur zwei wirkliche Sorgen gehabt. Die eine war, daß ich nie Kinder hatte, und die andere, daß ich
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