Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
er hatte sich anfangs geniert einzutreten, was für ein Dabbes er doch war. Das süßliche Odeur des Dopes hatte Simon Schweitzer gierig werden lassen, er ging nach Hause.
Sachsenhausen war ins Fadenkreuz der Weltgeschichte geraten. Simon Schweitzer war für seine Verhältnisse recht früh aufgestanden und hatte sämtliche halbwegs seriösen Tageszeitungen gekauft. Vom Bäcker hatte er sich zwei belegte Ciabattabrötchen mitgebracht, fürs Selbstschmieren war keine Zeit. Der Himmel hatte sich mit seinem Strahleblau umsonst ins Zeug gelegt, Simon Schweitzers Gedanken waren wo ganz anders. Das Wetter war ihm scheißegal.
Die Zeitungen lagen gestapelt neben seinem Teller und einem großen Pott Kaffee. Und dann fing er an, alles, was auch nur peripher Klaus-Dieter Schwarzbach zum Thema hatte, in sich hineinzusaugen.
Simon Schweitzer las geschlagene zwei Stunden. Er hätte noch viele weitere Artikel lesen können, es war wie eine Sucht. In den Gazetten wurde viel spekuliert, wie immer, wenn man überhaupt nichts oder nur wenig wußte. Das Hauptaugenmerk galt logischerweise dem immer noch verschwundenen Mitsubishi-Geländewagen Schwarzbachs. Tendenziell wurde mit einer Entführung geliebäugelt, es wäre nur noch eine Zeitfrage, bis sich die Entführer meldeten. Der Polizeipräsident und subordinierte Kreise waren zu keiner Stellungsnahme bereit. Die Politik hielt sich auch bedeckt, man müsse die Ermittlungen abwarten. Auch wurde Schwarzbachs Werdegang aufgezeigt, der für Herrn Schweitzer schon wie ein Nachruf klang und dementsprechend schönfärberisch herüberkam. Er hätte sich da ganz anders ausgelassen, wenn ihn jemand gefragt oder ihm ein Schreibgerät in die Hände gedrückt hätte. Hat aber mal wieder niemand. Sonst hätte Simon Schweitzer denen schon erzählt, daß der gute Klaus-Dieter sich im Leben so gut wie jedermann zum Feind gemacht hatte. Und ihn würde es da ganz und gar nicht wundern, wenn der Abgeordnete einem grausigen Kapitalverbrechen zum Opfer gefallen sei. Er selbst hatte sich da seinerzeit auch nur sehr schwer zurückhalten können, was ausschließlich seiner an sich bis ins Mark hinein gewaltfreien Natur zu verdanken sei.
Per Selbstgespräch hatte sich Simon Schweitzer sehr in Rage geredet. Er räumte den Küchentisch auf und ging in sein Zimmer. Wegen des frühen Aufstehtermins war er bereit, für Morpheus, den Gott des Schlafes und der Ohnmacht, noch einen draufzulegen. Er zog sich wieder aus und dachte, daß sich dieses Vorhaben der Rage wegen, in der er sich befand, schwierig gestalten könnte. Und er sollte recht behalten, eine Viertelstunde brauchte er zum Entschleunigen, aber dann ging alles wie von selbst. Er schlief ein.
Ringring, ringring. So ein Mist, dachte Herr Schweitzer, wer mag denn das jetzt schon wieder sein. Das Wieder war purer Blödsinn, denn es war der erste Anruf des Tages. Er quälte sich also aus seiner Liegeposition heraus und ging an den Apparat. Es war seine zwei Jahre ältere Halbschwester, die er, da er keine halben Sachen mochte, als Vollschwester behandelte, und die von ihm wissen wollte, ob er Lust auf ein Schwarzwälder Kirschtörtlein hätte. Er hatte. Und außerdem hätte sich im Schwarzbachfall ein bißchen was getan.
Etwas später saß er dem Röhrenden Hirsch gegenüber auf seinem angestammten Fauteuil und stopfte das pappige Süß in sich hinein. Angie und Hans hatten schon aufgegessen, er war beim zweiten Stück. Ein Klecks Sahne hing an des Schwagers Oberlippenschnauzer. Simon Schweitzer machte ihn, da er den Mund voll hatte, mit Handzeichen darauf aufmerksam. Wortlos und kopfnickend dankte ihm sein Schwager, während er sein Aussehen mit der Serviette korrigierte. Als seine Schwester Kaffee nachgießen wollte, hielt Simon Schweitzer seine Hand flach über die Tasse. Hans machte auf ihn einen sehr ausgeglichenen Eindruck. Überhaupt sah er sehr gut aus. Er war nach der Beinamputation nicht in übertriebenes Selbstmitleid verfallen. Jeden Tag stählte er seinen Oberkörper durch gezieltes Krafttraining. Sein Umgang mit den Krücken erschien spielerisch, sich ihn im Rollstuhl vorzustellen, war für Simon Schweitzer unmöglich. Auch hegte Hagedorn bemerkenswerterweise keinerlei Haß gegen jene, die für sein Krüppeldasein die Verantwortung trugen. Junge, übermütige Kerle, die vor vier Jahren auf der Hanauer Landstraße nächtens regelmäßig Autorennen austrugen, bei denen geringe Summen gewettet werden konnten. Es war Pech, daß der Sieger – der
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