Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
zurückgebracht, und es entwickelte sich ein zunehmend interessanter werdendes Gespräch über Gott und die Welt, in dem beide versuchten, mit leichthin eingebrachter Allgemeinbildung den jeweils anderen in den eigenen erotischen Bannkreis zu ziehen. Da Maria das Thema Karin und Klaus-Dieter Schwarzbach mied, präsentierte sich Herr Schweitzer sehr einfühlsam und verlor darüber auch kein Wort. Sensibilität war nämlich sein zweiter Vorname.
Späterhin war das Weinfaß gerammelt voll, erstaunlich genug für einen Montag, so daß man allein von der Akustik her die Köpfe sehr zusammenstecken mußte, wollte man sich noch gepflegt unterhalten. Simon Schweitzer schnupperte unauffällig den in der Luft hängenden Parfümgeruch Marias. Ein Rosenholz-Jasmin-Orangenblüte-Koriander-Gemisch, wenn er sich nicht täuschte.
Unter normalen Umständen war es nicht seine Art, den Abend in einer einzigen Kneipe zu verbringen. Allerdings grämte es ihn auch nicht sonderlich, wenn es sich ab und an so begab.
Sehr spät verabschiedete man sich, und Herr Schweitzer hatte das untrügliche Gefühl, Maria sehr den Kopf verdreht zu haben. Explizit verabredet für morgen oder einen anderen Tag hatte man sich nicht, gegebenenfalls würde man sich sowieso im Weinfaß wiedersehen. Nur nicht zu aufdringlich wirken, mahnte sich Simon Schweitzer, das würde nur den Zauber des Abends vernichten. Hier war Fingerspitzengefühl gefragt, genau das, was ihn auszeichnete. Exakt auf diesem Gebiet hatte er in letzter Zeit nämlich eine außerordentliche Reife an sich beobachten können.
Tschüssi, bis die Tage, hatte Maria abschließend gesagt. Das war nicht viel, ehrlich gesagt, aber auch nicht nichts, und für Simon Schweitzer, in allererster Linie Optimist, konnte man darauf aufbauen, das Abendland war noch nicht vollständig perdu, lediglich seine Jacke hatte er wieder vergessen.
Zu Hause hing der süße Seehund am Bord, und dementsprechend geräuschlos bewegte sich Herr Schweitzer. Der Abend hatte ihn sehr verwirrt. Um wieder mehr Klarheit in seine Gedankenwelt zu bekommen, baute er sich einen Extremjoint. Dabei dachte er, daß es demnächst vonnöten sei, sich um Nachschub zu kümmern, es war nicht mehr viel vom Dipayal Charras übrig.
Mannohmann, das war aber auch wieder ein Extremjoint gewesen. Seine Glieder wollten partout nicht aus der Ruheposition heraus. Also probierte es Simon Schweitzer erst einmal mit dem Kopf. Es klappte. Aber was er sah, war nicht mit dem Fensterausschnitt der letzten Tage identisch. Zwar standen die Bürotürme Frankfurts nach wie vor, doch waren die Rahmenbedingungen eher düster. Grau, ja fast schon schwarz fegte eine Wolkenbank nach der anderen rasant am Fenster vorbei. Erst hatte Herr Schweitzer gedacht, es wäre die Dämmerung, aber ein Blick auf die Wanduhr hatte ihn eines Besseren belehrt. Er rollte sich auf die Seite und blickte in das Gesicht seiner Mutter, die kupfern eingerahmt im Großformat an ihrem posthumen Ehrenplatz auf der gotischen Stollentruhe des ausgehenden fünfzehnten Jahrhunderts stand. Neben der drei Meter hohen Skulptur Traktor beweint Ernte, die ihren Durchbruch als Künstlerin von Welt eingeläutet hatte, wirkte sie ein wenig verloren. Traktor beweint Ernte wurde weiland noch während der sechsten Documenta für eine horrende Summe von einem französischen Versicherungskonzern aufgekauft und ziert noch heute das stadiongroße Foyer der Hauptzentrale im Pariser Stadtteil Les Halles. Das einzige Gebiet, auf dem seine exzentrische Mutter so etwas wie Normalität walten gelassen hatte, war die Erziehung ihrer Kinder gewesen. Herr Schweitzer war überzeugt davon, daß seine Halbschwester und er durchaus wohlgeraten waren, obzwar im Haushalt eine männliche Hand gefehlt hatte. Angies Vater hatte sich damals kurzerhand durch Vaterlandsflucht seiner Verantwortung entzogen und war erst mit der Volljährigkeit seiner Tochter wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Simon Schweitzers eigener war ihm ja, wie bereits erwähnt, nicht bekannt.
Während dieser Vergangenheitsbewältigung hatte Herr Schweitzer schon mal ein Bein über dem Bettrand baumeln lassen. Mit einer gekonnten und schon früher hin und wieder praktizierten, also eingeübten, Drehbewegung hievte er sich nun gänzlich aus seiner vierpfostigen Ruhestätte. Wegen der Schnelligkeit jenes Vorgangs und dem restlichen Tetrahydrocannabinol in seinem Großhirn wurde ihm ein wenig schwindelig. Des besseren Heilungsprozesses wegen verharrte er
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