Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
einige Sekunden im absoluten Stillstand, bevor er sich Richtung Kaffeemaschine manövrierte.
Zweieinhalb Stunden später hatte Simon Schweitzer gefrühstückt und drei Tageszeitungen durchgelesen. Den Berichten zufolge war der Geländewagen weiterhin verschwunden, und es wurden dringend Zeugen gesucht, die den Stadtverordneten Schwarzbach nach sechzehn Uhr letzten Freitag noch gesehen hatten. Dies war laut Ermittlungen der Zeitpunkt, zu dem er sich im Rathaus von einem Kollegen verabschiedet hatte, und seitdem war er wie vom Erdboden verschluckt. Für alle, die ihn nicht kannten, war der vermißte Schwarzbach mit seinem amerikanischen Zahnfleischgrinsen abgebildet, das fast die Hälfte des Gesichts einnahm. Simon Schweitzer hatte bei diesem Anblick wieder einmal würgen müssen.
Durch die relative Schwere seiner Gliedmaßen wurde Herr Schweitzer wieder seines gestrigen Extremjoints andächtig und dadurch folgerichtig an das zur Neige gehende Dipayal Charras erinnert. Schwerfüßig ging er zum Telefon und rief seinen Dealer an. Er bestellte fünf Döner. Dies war der vereinbarte Code, der einjeden versierten Geheimagenten vor Neid hätte erblassen lassen. Dagegen war die Enigma-Chiffriermaschine für die siegreichen Engländer lediglich ein Kinderrätsel für Fortgeschrittene gewesen. Kaum hatte Simon Schweitzer den Hörer aufgelegt, klingelte das Telefon erneut. Er befürchtete, sein Dealer würde zurückrufen und ihm mitteilen, daß aufgrund unvorhergesehener Razzien der Nachschub erheblich stockte, aber es war zur allgemeinen Erleichterung nur sein Schwager Hans, der ihn darüber informierte, daß man Schwarzbachs Wagen mit gefälschten Nummernschildern an der polnischen Grenze aufgespürt hatte. Der Fahrer, ein Pole, wurde gerade vernommen, hatte es in den Fernsehnachrichten geheißen. Sein Schwager hatte einen Tonfall gewählt, der unmißverständlich zum Ausdruck brachte, daß es sich nun nur noch um Stunden handeln konnte, bis das verschwundene polnische Hausmädchen im Verbund mit dem polnischen Fahrer des heimtückischen Mordes an dem Politiker überführt werden würde. Simon Schweitzer hegte den Verdacht, sein Schwager favorisiert den teuren Geländewagen als niederes Mordmotiv. Kurz angebunden richtete er noch Grüße an seine Schwester aus und legte auf.
Nachdem Herr Schweitzer sich bei seiner Bank mit einem größeren Geldschein versorgt hatte, ging er zum Dönerladen, schräg gegenüber des Deutschordenhauses. Es war nichts los, aber das konnte ihm nur recht sein. Giorgio-Abdul drehte sich um, und sein Auge strahlte Wärme und Freude aus.
„Simon, du Hühnerdieb. Schön dich zu sehen.“
Giorgio-Abdul war die abenteuerlichste Gestalt Sachsenhausens. Halb Italiener, halb Tunesier war er als Moslem in Deutschland aufgewachsen und bei Kriegsausbruch auf dem Balkan in den Krieg gegen ein Groß-Serbien gezogen, ohne je eine Sure gelesen zu haben, geschweige denn arabisch oder serbokroatisch zu sprechen. Lediglich eine abstruse Abenteuerlust hatte ihn getrieben. Sein Auge hatte er dann auch nicht honett in einer Bataille verloren, sondern der Söldnertrupp, dem er angehörte, hatte versehentlich ein Getränke- statt ein Waffendepot erobert, und gen Mitternacht war Giorgio-Abdul dann volltrunken mit dem linken Auge in einen abgebrochenen Ast gestolpert. Bis dahin hatte er noch keinen einzigen Schuß abgefeuert. Und dabei blieb es. Eine schwarze Augenklappe ließ ihn verwegen aussehen. Und für Krieg war er von da an krank geschrieben. Er zählte noch nicht einmal dreißig Lenze.
„Geht mir genauso“, erwiderte Simon Schweitzer.
Giorgio-Abdul stellte eine Dose Cola auf den Tresen und legte eine Zigarettenpackung daneben, die Herr Schweitzer sofort in die Hosentasche steckte. Es war zwar kein weiterer Gast anwesend, aber - Vorsicht war schon immer die Mutter der Porzellankiste. Er reichte Giorgio-Abdul eine Zehn-Euro-Note, in die geschickt der große Geldschein gefaltet war, und die wiederum Giorgio-Abdul in seiner Weste verschwinden ließ. Das Wechselgeld für die Cola legte er klimpernd auf die Glasvitrine, in der Tomaten, Zwiebelringe, Knoblauchsoße und Salatblätter appetitlich ihre Frische zur Schau trugen und auf ihren Verzehr warteten. Geflissentlich übersah Simon Schweitzer den sich langsam um seine Achse drehenden Gyrosspieß, er hatte ja erst gefrühstückt.
„Nichts los“, interpretierte er den Umstand, daß nichts los war.
„Nein, Geschäfte laufen schlecht in letzter Zeit, weißt
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