Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
du.“ Simon Schweitzer wußte. Seit den New Yorker Terroranschlägen hatten arabische Geschäftsleute oder solche, die auch nur entfernt danach aussahen, enorme Umsatzeinbußen zu verzeichnen. Giorgio-Abdul fuhr fort: „Aber was soll man machen? Leben muß weitergehen.“
„Ja, das muß es.“
„Blöd ist nur, weißt du, daß die Kunden mir dafür die Schuld geben.“
„Ja. Die Leute können halt nicht unterscheiden, werfen immer alles in einen Topf.“ Herr Schweitzer war jetzt ganz traurig gestimmt. Um seinen Haus- und Hoflieferanten etwas aufzumuntern, fügte er hinzu: „Aber beruflich hast du ja zum Glück noch ein anderes Standbein.“
Giorgio-Abdul brauchte ein paar Sekunden bis er verstand, aber dann grinste er übers ganze Gesicht. „Ja, weißt du, man muß immer sehen, wo man bleibt. Immer horche, immer gucke, wie man hier sagt, weißt du.“
Simon Schweitzer fand es schon immer rührend, wenn sich Ausländer des Frankfurter Idioms bedienten. „Genau. Immer horche, immer gucke, dann wird schon alles gut gehen.“ Er schüttelte die Dose, um den restlichen Inhalt abzuschätzen und trank aus. „Dann mach’s mal gut und halt die Ohren steif“, verabschiedete er sich.
„Ja, und du weißt, immer horche, immer gucke“, freute sich Giorgio-Abdul über die spaßige Redewendung, die er mit Simon Schweitzer austauschte.
Als er wieder auf der Straße stand, wurde er fast von einer Windböe mitgerissen. Herr Schweitzer wunderte sich, daß trotz dieses Weltunterganghimmels der Asphalt und die Gehwegplatten noch trocken waren. Fast hätte er es bis nach Hause geschafft. Ein Platzregen keine zweihundert Meter von Zuhause entfernt frappierte ihn nicht wirklich, durchnäßte ihn aber bis auf die Haut. Die nassen Klamotten schmiß er geradewegs in die Maschine, stopfte noch ein wenig andere Schmutzwäsche hinzu und stellte die Knöpfe auf Buntwäsche und dreißig Grad Wassertemperatur ein. Das machte er schon immer so, da konnte nichts verfärben. Sicher ist sicher, sagte er sich. Dann packte er sein neues Dope aus dem Silberpapier aus, roch daran und prüfte mit dem Fingernagel die Konsistenz. Der Zigarettenschachtel war ein kleiner Zettel beigepackt, auf dem in krakeliger Schrift die Worte Libanese aus dem Tal von Baalbek standen. Das war der Name des Produktes und Giorgio-Abduls Art von Kundenbetreuung. Als professioneller Konsument wußte Herr Schweitzer sofort die Qualität einzuordnen.
Er hatte lange mit sich zu kämpfen gehabt, um nicht schon am Nachmittag sein neues Hasch anzutesten, doch dann hatte sich Simon Schweitzer schweren Herzens für ein Mittagsschläfchen ohne jede Zutat entschieden. Das war auch gut so, denn er hatte noch einiges vor. Zunächst einmal hörte er Nachrichten, aber da wurde nur mitgeteilt, es sei nun zweifelsfrei erwiesen, daß es sich bei dem sichergestellten Geländewagen um das Gefährt von Schwarzbach handelte. Sehr seltsam, dachte Herr Schweitzer, nach der polnischen Haushaltshilfe wurde immer noch nicht öffentlich gefahndet.
Dann bummelte er noch ein wenig herum, hängte die Wäsche auf, hörte Musik und staubwedelte oberflächlich sein Zimmer, bis es an der Zeit war, sich für ein Abendessen Beim Zeus zu richten, dort würde ja heute, laut Theophilos, die Bürgerinitiative ihre Sitzung abhalten. Man kann ja mal vorbeischauen. Völlig unverbindlich, versteht sich.
Es regnete in Strömen, aber Simon Schweitzer war gewappnet und spannte den Schirm auf. Der Wind hatte nachgelassen. An der Bushaltestelle am Affentorplatz hatten sich die üblichen Obdachlosen eingefunden, darunter auch die dicke Gertrud, die ihren ehemaligen Klassenkameraden traditionell um einen kleinen Obolus anging. Herr Schweitzer war auch hierauf vorbereitet und drückte ihr einen Euro in die grindige Hand. Und ebenso traditionell rief sie ihm ein Gott vergelt’s hinterher.
Beim Zeus wurde er überschwenglich von der zierlichen Roxane, Theophilos’ Frau, begrüßt, die, so fand Simon Schweitzer, in letzter Zeit sehr gealtert war. Vorgestern hatte man sich ja nicht gesehen, weil sie ausschließlich in der Küche beschäftigt war. Jedoch notlog er: „Gut siehst du aus.“
„Jáßu, hallo. Immer noch ganz der alte Charmeur, wie?“
Herr Schweitzer winkte ab. „Die Zeiten sind vorbei. Wo ist Theo?“
„Der holt noch unser Auto ab. War eine Woche in der Werkstatt. Aber kommt gleich wieder. Setz dich doch. Du magst doch bestimmt was essen. Gib deinen Regenschirm her. Der ist ja
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