Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
Zwischenbilanz fand zwischen den Haltestellen Ostendstraße und Zoo statt, also schon in Hibbdebach.
Herr Schweitzer hatte sich mittlerweile in die Vorstellung hineingesteigert, diesen O-Tw 905 erst dann zu verlassen, wenn sozusagen der letzte Gedanke, der zu denken überhaupt möglich war, gedacht war. An dieser Stelle erlaubte er sich einen Ausflug, der die moralische Seite der vermeintlichen Mördertötung seitens eines Teiles der Staatsgewalt beleuchtete. Das war, wie man sich leicht denken kann, nicht so einfach. Zum einen gab es da den weiter als man denkt verbreiteten Gedanken, daß eine Menschentötung dann als nicht ganz so verwerflich zu betrachten sei, wenn der getötete Mensch aus niederem Instinkt heraus selbst gemordet hatte oder wenn er sonstwie ein allgemein anerkanntes Arschloch war. Zum anderen, und das mußte an dieser Stelle mal klipp und klar gesagt werden, durfte eine solche Sühnung auf keinen Fall in die Hände der Polizei gelegt werden. Aber, und hier differenzierte Herr Schweitzer sehr pedantisch, hatte Funkals Vorgesetzter Paule Hansen hier durchaus auch als Privatperson gehandelt, denn schließlich waren sie einst gute Kumpels gewesen, der Paule Hansen und die beiden vor einundzwanzig Jahren ermordeten Polizisten. Nun ja, von einer Tat im Affekt konnte vielleicht nicht mehr gesprochen werden. Aber immerhin.
Herr Schweitzers Grundeinstellung zum Staat und vornehmlich zu seinen Organen hatte sich folglich durchaus geändert. Wogegen er früher auf die Barrikaden gegangen war, hieß er heute gut. Dafür brauchte er sich nicht zu schämen, schließlich trägt selbst unser aller Außenminister heutzutage keine Turnschuhe mehr. Allerdings, und da mußte er besonders gut aufpassen, galt es, sich nicht allzu weit von einstigen Idealen zu entfernen, wollte man nicht als ideologischer Bankrotteur oder reaktionärer Kleingeist dastehen. Diese Grenze nicht zu überschreiten, darin bestand Herrn Schweitzers tagtäglicher geheimer Kleinkrieg mit sich selbst. Konservatismus war der Tod einer jeden Erneuerung, und der Jugend sollte das Recht eingeräumt werden, sich die Welt nach ihrem Gusto zu formen. Das war Simon Schweitzers momentane Sicht der Dinge, Änderungen in späteren Lebensabschnittsphasen selbstredend vorbehalten.
Ein miserabel geparkter weißer Mittelklassewagen mit abnehmbarem Verdeck provozierte ein Dauerklingeln des Straßenbahnfahrers. Herr Schweitzer kannte das aus seiner aktiven Zeit nur zu gut, rücksichtslose Mitmenschen sterben wohl nie aus. Über den Außenlautsprecher wurde der Fahrer des Wagens, der die Gleise blockierte, aufgefordert wegzufahren. Allein, der Fahrer war absent. Es kam nun die Durchsage, daß man auf unbestimmte Zeit festsaß und wer wolle, könne aussteigen. Einige Fahrgäste nutzten das Angebot.
Herr Schweitzer, alter Fahrensmann, der er war, blieb gelassen. Er hatte Zeit, er hatte zu denken. Wo war er stehengeblieben? Ach ja, bei der Jugend. Da war er wohl ein wenig abgedriftet. Er rief sich zur Ordnung und fragte sich, ob es denn vielleicht etwas bringe, nach Mitteln und Wegen zu suchen, welche die polizeiliche Überreaktion an dem Politiker Schwarzbach beweise. Möglicherweise, dachte Simon Schweitzer, wenn man die Presse mit einbeziehe, die hatte ja einst auch schon Hitlers Tagebücher aufgetrieben. Aber er fand diese spezielle Art der Problemlösung, die Paule Hansen da angewandt hatte, ja gar nicht so schlecht, man durfte es nur nicht laut sagen, sonst wurde ihm von irgendwelchen Moralaposteln noch Instinktlosigkeit oder solcher Kram vorgeworfen.
Der Fahrer des für die Fahrtunterbrechung verantwortlich zeichnenden weißen Mittelklassewagens mit abnehmbaren Verdeck war, Handy am Ohr, zurückgekehrt. Mit wichtiger Miene sprach er zu dem Apparat. Gleichgültig und ohne Hast schloß er die Autotür auf, ohne näher auf den schimpfenden Fahrer einzugehen. Herr Schweitzer sehnte sich eine Zeit herbei, in der man mit solchen Subjekten nicht viel Federlesens gemacht hätte. Da war er nicht allein, machen wir uns doch nichts vor.
Man hatte die Endhaltestelle in Bornheim erreicht. Simon Schweitzer hatte keine Lust mehr, über die Ermordung Schwarzbachs nachzudenken. Selber schuld, Klaus-Dieter, schloß er die Überlegungen ab. Wer auch immer diese Figur aus dem Weg geräumt hatte, Paule Hansen oder sonstwer, seinen Segen hatten der oder die Täter. Hier brauchte nichts ins rechte Lot gebracht werden, und schon gar nicht von ihm, wer war er denn? Er wünschte,
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