Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
war, daß der Apostel vom Bundeskriminalamt schon vor Stunden nach Hause gefahren worden war. Es lagen nicht die geringsten Beweise gegen ihn vor. Wie auch?
„Mach’s gut, Simon. Ich geh nach Hause.“ Beim Aufstehen stützte er sich auf Simon Schweitzers Schulter.
„Ja.“
Polizeiobermeister Frederik Funkal verließ den Frühzecher.
Da saß er nun, der Herr Schweitzer. Die Republik war eindeutig in ihren Grundfesten erschüttert, und niemand konnte das Rad der Geschichte zurückdrehen. Es herrschte Anarchie, und das Deprimierendste daran war, daß Simon Schweitzer früher zwar ein großer Verfechter dieser ultraliberalen Gesellschaftsform war, nun aber sich so gar nicht wohl fühlte. Er sehnte sich nach Ordnung und haßte sich gleichzeitig dafür. Er war alt geworden. Genau das war es, was er fühlte, das Alter. Seine Schultern waren eingesunken. Er erschrak heftig, als ihm jemand von hinten die Augen zuhielt.
„Maria?“
„Schlauberger.“
Herr Schweitzer drehte sich um, sein Kopf wurde zwischen zwei Händen leicht gedrückt, und er erhielt einen Kuß, der viel Liebe beinhaltete.
Marias nasses Haar bezeugte die Wetterbeständigkeit. Sie schüttelte es und fuhr sich mit den Fingern ordnend durch die Strähnen.
„Regnet es noch?“ fragte Herr Schweitzer geistesabwesend.
„Oh, täusch ich mich, oder hab ich mir tatsächlich eine Intelligenzbestie an Land gezogen?“
Simon Schweitzer war noch so gänzlich von des Polizeiobermeisters Ausführungen paralysiert, als daß er Marias hintergründigen Humor zur Kenntnis hätte nehmen können. Und das, obschon er sich selbst für einen großen Liebhaber feinsinnigen Humors hielt. Aber alles zu seiner Zeit. Momentan tobte das Chaos in dem Herrn Schweitzer.
„Wie ist das Geschäftsessen verlaufen?“ fragte er.
„Eher nicht so gut.“ Maria hatte Renés Blick erheischt und gestikulierte nach einem Gerstensaft. „Der Typ war ein Hochstapler, wie ich ihn noch nicht erlebt habe. Dachte, er bekäme meine Skulpturen umsonst und würde mir damit noch etwas Gutes tun, weil ich dadurch endlich zu Publicity käme. Aber vergessen wir den Schwachkopf. Immerhin hat er das Essen bezahlt, und das war klasse.“
„Magst du mit zu mir kommen?“
Diese Frage kam jetzt etwas unvermittelt, damit hatte Maria überhaupt nicht gerechnet. „Du bist so abwesend, Simon. Ist was passiert?“
René brachte das Bier. Herr Schweitzer hielt ihm den Deckel hin, auf dem Frederik Funkals Konsum archiviert war, und der Wirt fügte einen weiteren Strich hinzu.
„Ja. Eine ganze Menge ist passiert. Aber das kann ich dir hier nicht erzählen. Es hat mit dem Tod von Klaus-Dieter zu tun.“
„Gut. Dann laß uns zu dir gehen. Wir machen es uns gemütlich, und du erzählst mir, was dich bedrückt.“
Das war genau nach Herrn Schweitzers Geschmack. Eine immense Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit hatte ihn heimgesucht. Er gab René ein Zeichen, daß er zahlen wollte.
„Macht sechsunddreißig Euro.“
„So viel?“
„Frederik war heute gut aufgelegt. Und außerdem bekommst du für den Preis noch eine Leinenjacke dazu. Dürfte dir sogar passen, ist eine große Nummer. Vier mal X und L oder so.“
„Pah. Mach trotzdem achtunddreißig.“
„Danke. Warte, ich bring dir deine Jacke.“
Als Maria und Simon Schweitzer vor die Tür traten, war er froh über seine Leinenjacke, die er heute nirgendwo mehr vergessen konnte. Das Unwetter hatte dem Kessel, in dem Frankfurt lag, eine spürbare Linderung verschafft. Ja, es war sogar etwas frisch, doch es regnete nicht mehr. Ergo ging man zu Fuß, vielen Pfützen ausweichend. Man machte sich ein Pläsier daraus, den jeweils anderen erst um die Hindernisse zu lotsen, um ihm dann unerwartet einen Schubs zu geben, so daß man abwechselnd in den Wasserlachen stand. Es wurde viel gekichert, und so glitt Herr Schweitzer langsam aus der ruchlosen Welt von Mord und Totschlag in eine bessere, in der Maria und damit einhergehend allerlei Liebe auf ihn wartete. Der Heimweg hätte ewig dauern können.
Doch wie das so ist im Leben, plötzlich steht man vor der Haustür. Simon Schweitzer entdeckte unter einem der linken Fenster einen Graffito. Sbaronx oder Sberoux oder was auch immer, prangte dort gesellschaftsherausfordernd in schwungvoller roter Schrift.
„Da wird mein Hausmeister morgen aber ganz schön fluchen“, meinte Herr Schweitzer und deutete auf den Schriftzug.
„Das ist aber auch wirklich nicht hübsch.“
„Ja, schon. Aber Heinz Rybelka
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