Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
Hagedorn machte, nachdem man die Sekretärin entlassen hatte, die wenige Büroarbeit, Simon Schweitzer und seine Schwester waren mit angelegentlichen Observationen beschäftigt.
Herr Schweitzer klingelte, und es wurde umgehend geöffnet. Vor der Wohnung im zweiten Stock mußte er die Schuhe ausziehen und in ein Paar bereitstehende Puschen schlüpfen. Das war schon immer so, wegen des Parkettbodens.
„Hallo Simon, das bist du ja schon“, wurde er von seinem Schwager leutselig begrüßt, der eine rostbraune Strickjacke mit Ärmelschoner trug. Er schaute sich im Flur und dann im Wohnzimmer um. Vergeblich suchte er nach Zeichen von Veränderung, das tat Herr Schweitzer jedesmal, wenn er hier zu Besuch war. Er setzte sich auf den kirschhölzernen Fauteuil, auf dem er immer saß. Hans hatte gegenüber auf der Couch unter dem goldgerahmten unvermeidlichen Röhrenden Hirsch Platz genommen, die Krücken neben sich gelehnt, dort, wo sonst seine Frau saß.
Simon Schweitzer fand seinen vier Jahre älteren Schwager nett, aber das war auch schon alles, was er über ihn zu sagen wußte. Es ging hier sehr bieder zu. Wenn er Langeweile und Mittelmaß hätte beschreiben müssen, hier gab es ein Füllhorn davon. Vom Fransenteppich über das silbern gerahmte Hochzeitsfoto bis hin zum mit Goldbrokat gerahmten Sinnspruch auf schwarzem Samt – docendo discimus (seine Großmutter war Lehrerin) – war alles vertreten, was das Spießbürgerherz begehrte. Hier fühlte sich Herr Schweitzer immer wie der letzte Hippie von Haight Ashbury.
„Kaffee? Ich habe gerade einen aufgesetzt. Angie ist bei ihrem Vater im Heim.“
Schmerzlich wurde Simon Schweitzer wieder einmal bewußt, daß Angelika, seine Schwester, oder besser gesagt, Halbschwester, ihren Vater wenigstens kannte. Vater unbekannt, stand hingegen bei ihm in der Geburtsurkunde. Ihre Mutter hatte ihr Wissen mit ins Grab genommen, obwohl er in der Adoleszenz im Zuge einer Selbstfindungsphase einiges daran gesetzt hatte, das Geheimnis zu lüften.
Hans stellte eine Schachtel mit Würfelzucker auf den Tisch, bei losem Zucker fielen immer einige Körnchen daneben. Dann fing er übergangslos zu erzählen an: „Frau Schwarzbach war heute früh bei mir, völlig aufgelöst. Ihr Mann sei über Nacht ausgeblieben. Ohne anzurufen. Das habe er vorher noch nie gemacht. Die Polizei habe ihr gesagt, man werde sich darum kümmern, aber erfahrungsgemäß tauchten erst so kurz vermißte Personen schon bald wieder auf. Sie habe schon sämtliche Freunde und Parteigenossen, deren Telefonnummer sie hatte, angerufen, ob jemand etwas wüßte. Nichts. Man habe ihr aber geraten, nicht die Pferde scheu zu machen, ihr Mann hätte bestimmt etwas dagegen, soviel Aufhebens um die Sache zu machen. Dann muß sie wohl ein altes Telefonbuch in die Hände bekommen haben. Du weißt, eines aus der Zeit als wir uns noch klotzige Reklame leisten konnten, und rief mich an, ob sie vorbei kommen könne. Ich hab sie dann auch erst einmal versucht zu beruhigen. Aber sie hat gleich Geld ausgepackt, ein ganzes Bündel als Vorschuß und mich angefleht, ich soll ihr ihren Klaus-Dieter wiederbeschaffen. Was hätte ich denn machen sollen? Du weißt, der Firma geht’s nicht besonders. Angie hat gesagt, ihr beide kennt euch von früher.“
„Das stimmt schon. Aber ich glaube nicht, daß ich viel mehr über unseren Herrn Abgeordneten sagen kann als das, was allgemein bekannt ist. Und wenn tatsächlich etwas passiert sein sollte, was ich, mit Verlaub, nicht glaube, dann ist das ein Fall fürs BKA oder LKA, auf jeden Fall mal nichts für uns. Übrigens habe ich Karin, Frau Schwarzbach, gestern erst gesehen, da hat sie noch ziemlich auf ihren Gatten geschimpft.“ Hagedorn spielte mit einem Kugelschreiber und wartete darauf, sich Notizen machen zu können.
„Nein, das ist schon klar. Ich dachte ja auch nur, vielleicht gibt’s da ja eine andere Frau und du wüßtest etwas darüber. Schließlich bist du doch immer auf dem laufenden, was sich in Sachsenhausen so tut.“
Simon Schweitzer hatte das Gefühl, seit dem schweren Unfall neige sein Schwager zu blindem Aktionismus und wolle die Energie, die er selbst nicht mehr durch Arbeit abbauen konnte, auf seine Frau und Simon Schweitzer übertragen. Herr Schweitzer bemühte sich, nicht schulmeisterlich zu klingen, als er sagte: „Wenn ein Mann eine Nacht nicht nach Hause kommt, ist fast immer eine Frau im Spiel. Oder Alkohol. Oder beides. Ich wette, heute abend ist Klaus-Dieter wieder
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