Sind Sie hochsensibel?

stattfindende Köpfen der Hühner im Hinterhof niedergeschmettert fühlte, ebenso wie durch dielockere und gleichgültige Umgangsweise damit. (Man beachte auch, dass Marsha sich und ihre Geschwister als „Hühnerbrut“ bezeichnete!)
    Außerdem liebten ihre Brüder es – abgesehen von den sexuellen Belästigungen – Marsha zu ärgern und ihr Angst einzujagen, als sei sie ihr persönliches Spielzeug. Mehr als einmal brachten sie Marsha dazu, vor Angst in Ohnmacht zu fallen. (HSM sind oft eine geeignete Zielscheibe, weil sie so stark reagieren.) Dennoch hatte diese Sache auch ihr Gutes. Als Spielball ihrer Brüder bekam sie auch viele Dinge zu sehen und Freiheiten zu spüren, die den meisten Mädchen damals vorenthalten waren. Ihre Brüder, die eine starke Unabhängigkeit besaßen, wurden von Marsha als Rollen-Vorbilder auserkoren – und nicht ihre Mutter und Schwestern, die sich sehr passiv verhielten. Das war in mancherlei Hinsicht eine wertvolle Erfahrung für dieses sensible Mädchen.
    Marsha hatte die engste Bindung zu einer ihrer älteren Schwestern, aber diese Schwester starb, als Marsha dreizehn war. Marsha erinnert sich, dass sie auf dem Bett ihrer Eltern lag, ins Leere starrte und auf Neuigkeiten über den Zustand ihrer Schwester wartete. Man hatte ihr gesagt, dass ihre Schwester gestorben sei, wenn ihre Eltern nicht binnen einer Stunde zurück sein würden. Als die Uhr zur Stunde schlug, so erinnert sich Marsha, habe sie ihr Buch genommen und weitergelesen. Dies war für sie eine weitere Lektion, die ihr bewies, dass man besser keine Bindungen eingehen sollte.
    Erinnerungen, Träume und Kunst
    In Marshas erster Erinnerung liegt sie nackt da und beobachtet ehrfurchtsvoll die Schönheit der Staubkörnchen im Sonnenlicht – eine Erinnerung, die ihre Sensibilität als Ursprung von Freude zeigt. So hat sie ihr ganzes Leben lang empfunden, gerade jetzt wieder, da sie ihre Sensibilität auch in ihrer Kunst ausdrücken kann.
    Man beachte, dass keine andere Person in ihrer ersten Erinnerung auftaucht. In ähnlicher Weise zeigen auch ihre Gedichte und Fotografien eher Gegenstände als Menschen. Es gibt viele Ansichten von Häusern – mit geschlossenen Fenstern und Türen. Die quälende Leere einiger ihrer Arbeiten spricht uns in unseren tiefsten eigenen Erfahrungen an, besonders jene von uns, deren Kindheit lehrte, jegliche Nähe zu anderen Menschen zu vermeiden.
    Auf einem Foto, das sie aufgenommen hat, während sie sich noch in Therapie befand, sieht man scharf fokussierte Hühner im Vordergrund. (Erinnern Sie sich an die Bedeutung von Hühnern für Marsha.) Der Hühnerdraht und das Gatter des gefängnisartigen Hühnergeheges sind verschwommen. Am undeutlichsten jedoch, hinter einer verdunkelten Tür des Geheges, ist die geisterhafte Darstellung einer Gruppe zerlumpter Kinder zu sehen.
    Ein weiteres wichtiges Bild hat seinen Ursprung in einem Traum von einer strahlend schönen, aber wütenden kleinen Elfe, die in einem geheimen Garten lebt und niemandem Einlass gewähren will.
    Marsha hat zwanghaft Essen, Alkohol und diverse Drogen konsumiert. Sie war aber zu klug, die Grenzen ganz zu überschreiten – Dank ihrer praktischen Ader und einem hohen IQ von über 135. In einem Traum schiebt sie einen verhungernden und schreienden Säugling über das Parkett eines Tanzsaales, der mit Lebensmitteln angefüllt ist, aber das Kind will nichts von alldem essen. Wir fanden im Gespräch heraus, dass das Kind verhungert, weil seine verzweifelte Gier nach Liebe und Aufmerksamkeit unbeantwortet bleibt. Wie hungrige kleine Küken fressen wir alles, was wir finden können, wenn wir nicht mit dem gefüttert werden, was wir brauchen.
    Das Bindungsverhalten hochsensibler Menschen
    Im vorherigen Kapitel haben Sie gelernt, wie wichtig die Bindung zu Ihrer Bezugsperson, normalerweise Ihrer Mutter, ist. Eine Bindung, die Unsicherheit vermittelt, wird das ganze Leben lang als Modell für einzugehende Bindungen fortbestehen, es sei denn, man baut im Erwachsenenalter eine ungewöhnlich sichere Bindung zu einer Person auf wie zum Beispiel zu einem Freund oder in einer Langzeit-Psychotherapie zu einem Therapeuten. Leider können nicht-therapeutische Beziehungen der Aufgabe manchmal nicht standhalten, in der Kindheit entwickelte Unsicherheiten rückgängig zu machen. Diese