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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Haipl
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jeweiligen Immobilie lässig eingeparkt und dann im Auto sitzend nebenan angerufen. Die Nummern hatten wir ja dank der holländischen Hausfrauenprogrammmoderatorin, und bequemer war es so auch irgendwie.
    Der Bürgermeister von St. Jakob im Defereggental hat auf mein, wie ich meine, sehr freundliches E-Mail leider nicht geantwortet, und er hat mich auch nicht angerufen. Weiterführende Informationen zum Ort und zu seiner Befähigung als Pilgerstätte muss ich mir also wohl oder übel selbst erarbeiten. Vielleicht kommt mir dabei zugute, dass ich hier schon einmal war. Als Fünfjähriger hatte ich möglicherweise noch nicht den Blick für das Wesentliche im Pilgerbetrieb, aber viele Erfahrungen und Erinnerungen werden ja unbewusst gespeichert. Und wer weiß, vielleicht habe ich ein solches Déjà-vu-Erlebnis, dass die Erkenntnis wie von selbst den Weg zu mir findet.
    Schließlich haben wir uns für einen Gasthof zirka drei Kilometer oberhalb des Ortes entschieden, wo ich jetzt sitze und hoffe, dass es nicht zu regnen beginnt. Es ist hier nämlich dermaßen steil, dass ich befürchte, der kleinste Regenguss könnte den ganzen Bauernhof samt Gasthaus in die hier doch sehr tiefe Tiefe reißen. Das wäre unangenehm, zumal wir noch nicht bezahlt haben. Es gefällt uns hier, und der Vergleich mit einem Adlernest drängt sich allen Klischees zum Trotz auf.

Dienstag, 21. Juli
    Was tut ein Adler, wenn er Durchfall hat? Er verlässt das Nest, alles andere wäre fahrlässig. Folgerichtig habe ich mich ins Tal begeben. Das war, um der Wahrheit die Ehre zu geben, freilich nur Zufall. Wir wollten nach dem Frühstück schlicht und ergreifend St. Jakob im Defereggen -tal erkunden. Also haben wir zuerst die Aussicht von der Frühstücksstube auf das Bergmassiv genossen, hernach selbige (bestimmt als erste Gäste überhaupt) gegenüber der Wirtin laut und wortreich gepriesen (während aus dem Radio Musik klang, die von Wolfgang Petry oder von den Paldauern gewesen hätte sein können — die Kastelruther Spatzen waren es nicht, das wäre so nahe bei den Dolomiten zu offensichtlich gewesen) und haben sodann, mit der Gesamtsituation sehr zufrieden, den Wagen bestiegen. Beim Offnen des Daches verspürte ich zwar ein leichtes Gluckern im Magen, führte das aber einerseits auf die Vorfreude zurück, die ich in Erwartung der kurvenreichen Strafte Richtung St. Jakob verspürte, andererseits auf eine Form von Erkenntnis (im Jakobschen Pilgersinn), die mir im Schlaf zuteilgeworden war (doch davon später).
    Man muss sich die Strafte von unserer Unterkunft hinunter in den Ort so vorstellen wie diese Teernähte, mit denen auf Autobahnen Asphaltplatten verbunden werden. Nur ohne Asphaltplatten. Also schmal, sehr schmal, mit genug Platz für Schlaglöcher. Ein Raumwunder, wie die Automobilwerbung sagen würde. Das macht trotzdem Spaft , wenn man gerne Kurven fährt, und das tue ich. Es ist aber kein guter Moment für Verdauungsschwierigkeiten, wenn man zirka zehn Minuten Kurven gefahren ist und irgendwo in den Tiroler Alpen auf einem Steilhang in einer Kehre steckt, die Ben Hur zur Aufgabe gezwungen hätte. Für Verdauungsschwierigkeiten ist an sich nie ein guter Moment, vor allem dann nicht, wenn man nicht umdrehen kann, weil die Strafte nicht breit genug ist. Geht rein technisch nicht. Basta. Andererseits sind es noch zehn Minuten bis zum Ortskern, und den will man schon aus purem Ehrgeiz erreichen. Wir haben keine Kinder, also muss ich solche Situationen selbst provozieren.
    Ich: »Ich muss aufs Klo .«
    Sie: »Fahr halt hin .«
    Gute Idee, das mache ich. Dumm, dass gerade beim Sägewerk eine sehr umständliche Umleitung installiert wurde. Schöne Gegend, keine Frage. Tolle alte Bauernhäuser, saftige Weiden, rauschender Wildbach, zerfurchte Gesichter am Wegesrand... ich muss aufs Klo, Himmelarsch und zugenäht. Also mit quietschenden Reifen auf den Hauptplatz von St. Jakob im Defereggental und ab ins Kaffeehaus. Was bestellen wir dort auf die Schnelle? Einen »Coup Jakob«, eine Komposition aus Fruchteis, und einen »Coup Nussknacker«, Schoko- und Pistazieneis an einem Potpourri von verschiedenen Nüssen. Sonst nichts, danke. Darauf habe ich mich schnell zurückgezogen.
    Als ich vom Klo zurückkam und meinen »Coup Nussknacker« auf mich warten sah (ich wiederhole gerne noch einmal: »Schoko- und Pistazieneis an einem Potpourri von verschiedenen Nüssen«), hatte ich den Eindruck, dass ich ihn schon einmal gesehen habe. Vor gar nicht langer

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