Sind wir bald da
Zeit.
Geschmeckt hat trotzdem alles wunderbar. Ein kurzer Blick auf mein iPhone bestätigt, der Bürgermeister hat sich noch immer nicht gemeldet. Also weiter im Text. Wir sehen uns zuerst einmal die wunderschöne Pfarrkirche von St. Jakob an. Aus irgendeinem Grund faszinieren mich die Gedenkbilder aus dem Zweiten Weltkrieg gleich beim Eingang. Vor der Kirche steht ein Denkmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen. Grundsätzlich halte ich die Verehrung der Ahnen für nicht völlig falsch. Es muss einen Grund geben, warum das Naturvölkern auf sämtlichen Kontinenten so wichtig ist. Ohne Schuldzuweisungen, ohne vertrottelten Hurra-Patriotismus daran denken, wer man ist, woher man kommt, und dazu stehen . Das kennt man als Städter nicht. Nach längerem Nachdenken fällt mir als einziges (sehr holpriges) Äquivalent nur das Russendenkmal am Schwarzenbergplatz ein. Und das ist doch sehr anders als die zartrosa eingefärbten Schwarzweißfotos von diesen gefallenen jungen Männern, die so aussehen, als ob sie noch nicht Moped fahren dürften. Fünf oder sechs von ihnen heißen wie unsere Wirtsfamilie. Ich traue mich aber nicht nachzufragen, ob das der Großvater und seine Brüder waren. Ist ja doch ein sensibles Thema. Aber die bloße Vorstellung, dass eine Familie in einem Aufwischen eine ganze Generation verliert, bestätigt meinen Entschluss, Zivildienst gemacht zu haben (im ehrlichen Ansinnen, Krieg zu vermeiden), lässt mich aber auch recht flott meine Magenschmerzen vergessen. Ein Blick in die Kirche zeigt außerdem unmissverständlich, wer hier der Leidende ist. Jesus Christus nämlich. Und nach ihm jede Menge Märtyrer. Danach kommt lange nichts und erst dann vielleicht einer von den verwöhnten Kirchenbesuchern, die alle nicht wissen, was wirkliches Leiden ist. Darum muss man es ihnen auch sehr anschaulich zeigen. Ich mag die katholische Logik. Sehr lebensbejahend und menschenfreundlich. Empathisch, möchte ich fast sagen.
Der Kreuzweg hier erinnert mich daran, dass ich als Kind sehr oft in der Kirche war und nicht zu wenige Kreuzwege miterlebt habe. Ich kann mich erinnern, das war meistens sehr langweilig. Auch wenn progressive Pfarrer dann und wann sogenannte »Kinderkreuzwege« veranstaltet haben. Das waren dann quasi Führungen durch eine illustrierte Hinrichtung für Minderjährige. Im Prinzip könnte man das auch mit süßen Handpuppen aus Plüsch vorführen: »Hallo, liebe Kinder, ich bin der Pontius Pilatus, und ich werde jetzt den Jesus an ein Kreuz nageln. Wollt ihr mir helfen? Und jetzt alle: Hauuuuu -Ruck, Hauuuuu -Ruck!! Rawuzi Kapuzi , die Nägel gehen nicht durch die Hände vom Jesus. Wahrscheinlich hat er sie nicht gewaaaaschen ! Kommt, Kinder! Zeigt alle mit dem Finger auf den Jesus und sagt Bääääää !!!«
Okay, ist ein wenig polemisch. Aber wie wollen Sie den berühmten Außerirdischen, die in fünftausend Jahren die Erde bereisen werden, erklären, dass man eigens für Kinder Führungen organisiert hat, um ihnen zu zeigen, wie man einen Menschen zu Tode foltert, und zwar im Namen von Religion und Nächstenliebe? Gleichzeitig sollen sie aber nicht zuschauen, wenn ein Schwein geschlachtet wird, weil das grausam ist, und dann schmeckt das Schnitzel nicht mehr.
Wie gesagt, ich kann mich erinnern, dass Kreuzwege immer sehr langweilig waren. Also haben meine Freunde und ich auf die Stellen gewartet, wo Jesus stürzt und gegeißelt wird, bevor er schließlich stirbt. Bei Winnetou sind auch die Stellen am besten, wo er am Marterpfahl steht, angeschossen wird oder spektakulär vom Pferd fällt. Und nicht die, wo er mit den Weißen Pfeife raucht, mit Fellen handelt oder mit einer Frau (Uschi Glas, oder?) flirtet. Nein, nein, so alt kann ich gar nicht werden, dass ich nicht mehr weiß, was Sieben bis Zwölfjährige beeindruckt.
Weil wir gerade bei Sieben bis Zwölfjährigen sind: Es gibt eine Geschichte zu St. Jakob im Defereggental , die ich dann doch relativ arg finde.
Um 1600 kam die protestantische Lehre ins Defereggental , durch sesshaft gewordene Bergknappen, durch Hausiererhandel — man weiß es nicht. Gut achtzig Jahre später forderte ein Herr Max Gandolf von Kuenburg , hauptberuflich Erzbischof von Salzburg, die protestantische Bevölkerung auf, zum katholischen Glauben zurückzukehren oder sich auf ihre Ausweisung vorzubereiten. Die erfolgte dann auch alsbaldigst . Ab 1684 wanderten fast tausend Menschen aus, großteils ins heutige Bayern und Baden-Württemberg. Ihren Besitz
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