Sine Culpa
können Sie das sagen?« Jasper war verblüfft.
»Es war ein Verbrechen an einem Kind«, sagte Judy mit Verachtung in der Stimme.
»Ich finde es ziemlich taktlos, das vor Hannah zu sagen.« Bettie legte sacht eine Hand auf den Arm der alten Frau.
»Hannah?«, wiederholte Miss Pennysmith fragend und sah sie an.
»Ich bin Hannah Hill.« Die alte Dame streckte ihr eine zittrige braune Hand entgegen. »Guten Tag.«
Miss Pennysmith ergriff sie automatisch, und sie fühlte sich an wie ein alter Lederbeutel mit Stöcken darin. Dann wurde ihr klar, was der Name der Frau bedeutete, und sie spürte, wie ihr die Schamesröte in die Wangen stieg.
»Oh, Mrs. Hill, ich hatte keine Ahnung, wer Sie sind. Wir sollten in Ihrer Anwesenheit gar nicht darüber reden. Das war sehr gedankenlos.« Sie blickte in die Tischrunde, doch die meisten schauten weg.
»Ist schon gut, meine Liebe«, Hannah Hill lächelte abwesend. »Ich glaube auch, dass Major Maidment unschuldig ist.« Und damit widmete sie sich wieder ihrem Essen.
Das Gespräch kam nicht wieder in Schwung, und der leckere Käsekuchen wurde in allgemeinem Schweigen verzehrt, aber als der Tee serviert wurde, war bereits wieder so etwas wie Normalität zurückgekehrt. Als alle aufstanden, ging Miss Pennysmith zu Mrs. Hill.
»Verzeihen Sie, dass ich das Thema noch mal anspreche, aber ich würde gern wissen, warum Sie das vorhin über den Major gesagt haben?«
Über Hannah Hills eingesunkenen Augen lag ein Schleier. Sie legte ihre knochige braune Hand auf Miss Pennysmiths Arm. »Oh, weil Paul noch lebt, ich dachte, das wüssten Sie«, flüsterte sie.
»Aber …«
»Vor ein paar Jahren, als ich niedergestoßen und auf den Kopf geschlagen wurde, die Polizei sprach von einem Raubüberfall, aber Clem meinte, es war schon fast ein Mordversuch, der Evening Standard berichtete darüber, und ich lag einen Tag im Koma – da hab ich ihn gesehen.«
»Wen gesehen?«
»Paul natürlich. Als ich wach wurde, saß er am Bett und hielt meine Hand. Er sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte – ich war eine Weile taub –, aber ich glaube, es war so was wie: ›Du wirst wieder gesund, Nana.‹ Dann beugte er sich vor und gab mir einen Kuss. Ich verlor erneut das Bewusstsein, und als ich wieder aufwachte, war er fort. Sie sehen also, der Major kann den Jungen gar nicht ermordet haben, weil er nämlich noch lebt.«
Margaret versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Ihre Hoffnung, dass Hannah vielleicht wusste, wer Paul tatsächlich getötet hatte, schwand dahin. Stattdessen hatte sie es bloß mit den Wahnvorstellungen einer alten Frau zu tun.
Diese blickte versonnen vor sich hin und schien sie gar nicht mehr wahrzunehmen. »Wir hatten immer ein gutes Verhältnis, mein Paul und ich. Ein Jahr, bevor er verschwunden ist, stand er plötzlich bei uns in London vor der Tür. Er hatte furchtbaren Streit mit seinen Eltern gehabt und war weggelaufen. Natürlich mussten wir seinen Eltern Bescheid sagen, obwohl er mich anflehte, das nicht zu tun. Gott sei Dank war mein Sohn am Telefon, nicht Sarah, und er war einverstanden, dass Paul ein paar Tage bei uns bleiben durfte. Er wirkte recht fröhlich, aber ich merkte trotzdem, dass irgendwas nicht stimmte. Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich bekam es einfach nicht aus ihm raus, und dann musste er wieder nach Hause fahren. Ich bin so froh, dass es ihm jetzt gut geht.«
Seufzend lächelte Margaret Pennysmith die alte Dame an.
»Ganz sicher, Mrs. Hill.«
27
White gab nach, noch ehe er seine erste Tasse Kaffee in Polizeigewahrsam getrunken hatte. Er sagte, er würde alles erzählen, was er wusste, doch im Gegenzug bat er um etwas, das Fenwick ihm einfach nicht geben konnte: Anonymität. Seine Familie und Freunde sollten nichts erfahren.
»Das ist unmöglich, Charlie«, erklärte Fenwick. »Selbst wenn Sie sich schuldig bekennen, wird es einen Prozess geben. Ich kann Ihnen nicht versprechen, beim besten Willen nicht, dass die Medien außen vor bleiben; das liegt gar nicht in meiner Macht.«
»Aber es gibt doch so was wie ein Zeugenschutzprogramm, oder?«
»Für Menschen, die gegen große Verbrechersyndikate aussagen und deren Leben ernsthaft in Gefahr ist, ja. Wollen Sie damit sagen, dass dem so ist?«
Er wollte nicht. Und schon bald wurde klar, dass Whites Wissen auf die Aktivitäten von Alec Ball, Joseph Watkins und Geoff Gooding beschränkt war. Er wusste von den Gerüchten, dass jemand »Wichtiges« den Handel mit
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