Sine Culpa
jeden Moment damit, von der Polizei angehalten zu werden. Als er das tiefe Loch im Fundament der Clubterrasse sah, war es das Leichteste von der Welt gewesen, den Sack hineinzuwerfen und mit Schutt zu bedecken. Dann fuhr er nach Hause, ging seiner Frau aus dem Weg und nahm eine Flasche Whisky mit ins Badezimmer. Am nächsten Tag hatte er einen so fürchterlichen Kater, dass er kaum klar denken konnte. Irgendwie schaffte er es, ein paar endlose Besprechungen und abends ein Dinner zu überstehen, und so brachte er den ersten Tag hinter sich, fast ohne es zu merken. Der folgende Tag verlief ähnlich, dann der nächste, und schon bald war eine ganze Woche verstrichen.
Aus Wochen wurden Monate und schließlich Jahre. Manchmal versuchte er sich einzureden, es sei nur ein schlechter Traum gewesen, doch sein Gewissen ließ diese Illusion nie lange zu. Als Hilary krank wurde, sah er darin eine Strafe für seine Sünden. Mit ihrem Leiden und allmählichen Sterben kehrte sein Schuldgefühl zurück. Er setzte sich zur Ruhe, gab seinen geliebten Beruf auf, um stets in ihrer Nähe zu sein. Es gab zahllose Stunden, in denen er allein mit seinen Schuldgefühlen an ihrem Bett saß. Er dachte, er wäre kurz vor dem Zusammenbruch, aber irgendwie hielt er durch. Die Flucht in den Wahnsinn wäre eine Erleichterung gewesen, die er sich nicht erlaubte. Stattdessen wartete er, litt mit ihr und betete.
Als sie starb, in ihrem eigenen Bett um zwei Uhr an einem sonnigen Frühlingsnachmittag, blieb er noch lange bei ihr sitzen. Er erzählte ihr, was er getan hatte, und flehte um Verzeihung. Dann betete er für ihre Seele, hielt sie ein letztes Mal lange in den Armen, küsste sie und tätigte schließlich den Anruf, der sie ihm für immer wegnahm.
An ihrem Grab schwor er sich, als schwache Buße für seinen Sünden fortan Gutes zu tun, um hoffentlich der Hölle zu entgehen, damit er nach seiner Zeit im Fegefeuer wieder mit ihr vereint sein könnte.
»Ich finde wirklich, Sie sollten ein Schmerzmittel nehmen, Major Maidment.« Schwester Shah stand neben seinem Bett.
Er wischte sich hastig übers Gesicht und versuchte zu lächeln. »Ich bin eingedöst. Es war nur ein schlechter Traum.«
»Das hörte sich aber nicht so an. Sie müssen wirklich nicht leiden, glauben Sie mir«, sagte sie im Weggehen.
»Oh doch, das muss ich«, flüsterte er und schloss die Augen.
»Wir haben ihn in ein anderes Zimmer geschoben, damit Sie ungestört sind«, sagte die Schwester.
Nightingale und D. C. Stock folgten ihr in einen Raum, wo der Major aufrecht in dem einzigen belegten Bett saß.
»Guten Morgen, Major.«
Er bemerkte, dass sie sich dafür entschied, nicht auf dem niedrigen Besucherstuhl Platz zu nehmen, und auch kein Interesse an seinem Gesundheitszustand heuchelte. Erstaunt stellte er fest, dass er anfing, sie zu mögen.
»Guten Morgen, Miss Nightingale.«
Keiner von beiden hatte Lust auf Smalltalk.
»Ich habe nur wenige Fragen, aber sie sind wichtig.«
Er nickte.
»Denken Sie daran, dass es sich um eine Mordermittlung handelt, dass das Opfer fast noch ein Kind war, keine ein Meter sechzig groß, als es starb. Was auch immer sie über Paul Hill gehört haben, Sie sollten es nicht so einfach glauben. Denken Sie stattdessen über die Motive der Person nach, die Sie decken, und stellen Sie sich ein paar Fragen. Sind Sie sicher, dass dieser Mensch die Wahrheit gesagt hat? Ist er Ihren guten Namen wert? Verdient er Ihre Loyalität?«
Sie ließ ihre Worte wirken, aber er war auf sie vorbereitet. Diese und ähnliche Fragen hatten ihn die ganze Nacht wach gehalten. Nein, das stimmte nicht. Es waren die Antworten, die ihm den Schlaf geraubt hatten. Am frühen Morgen hatte er endlich die letzten schonenden Schichten durchbrochen und war zur nackten Wahrheit vorgestoßen: Er war von einem Lügner ausgetrickst worden. Er glaubte nicht mehr, dass Percy einem Freund geholfen hatte, von wegen, er wollte nur seinen eigenen Hals retten. Er war ein Tölpel gewesen, ein Dummkopf, der seinen Fehler vor lauter Naivität nicht erkannt hatte, aber das hieß nicht, dass er der Polizei irgendwas erzählen würde.
Sie taten jetzt so, als verdächtigten sie ihn nicht mehr, Paul Hill ermordet zu haben, aber er hielt das für eine List. Sobald er zugab, irgendwas zu wissen, würden sie sich auf ihn stürzen und ihn beschuldigen, der Mörder des Jungen zu sein. Percy würde das tun, womit er vor Jahren gedroht hatte, nämlich alles abstreiten und ihn als Bigamisten
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