Sine Culpa
das nicht zulassen. Ich habe ihn geschlagen. Er hat sich nicht gewehrt. Je härter ich zuschlug, desto mehr schien er es zu wollen. Schließlich musste mein Mann uns trennen. Ich habe beiden gesagt, sie sollten verschwinden, dass ich sie nie Wiedersehen wollte.«
»Und sie sind nie wiedergekommen?« Er war unwillkürlich fasziniert.
»Am Anfang schon. Es hat lange gedauert, aber schließlich hab ich sie dazu gebracht, mich und Paul in Ruhe zu lassen. Jetzt stört uns hier niemand mehr.«
Er versuchte, die nachlässig gekleidete Frau vor ihm nicht anzustarren, die aus Hass, der aus Trauer entsprang, ihren ganz persönlichen Wahnsinn geformt hatte.
»Er ist todkrank, Ihr Vater.«
»Natürlich. Warum hätte er Sie wohl sonst nach so vielen Jahren zu mir geschickt?«
»Er möchte Sie sehen.«
»Nein. Ich werde ihm nie verzeihen, dass er Paul den Tod gewünscht hat.«
Der Hass in ihrem Gesicht weckte in ihm Furcht um Stan. Es war besser, wenn sein alter Freund seine Tochter nicht mehr sah, diesem gefährlichen Wrack war schließlich alles zuzutrauen. Dennoch widersprach er ihr, wollte bis zum Schluss loyal bleiben.
»Ich glaube nicht, dass Ihr Vater Paul den Tod gewünscht hat. Wahrscheinlich wollte er Ihnen helfen und auch eine Möglichkeit finden, mit seiner eigenen Trauer fertig zu werden.«
Sie schüttelte abwehrend den Kopf, doch er sprach weiter, versuchte sein Bestes.
»Ich bin sicher, Ihr Vater hat sich genauso verzweifelt wie Sie gewünscht, dass Paul lebend gefunden wird. Er konnte sich nur nicht so lange an diese Hoffnung klammern wie Sie. Er hat Paul niemals den Tod gewünscht.«
Sarah Hill beugte sich vor und hob den Brief auf, wog ihn in der Hand, als wäre es die Seele ihres Vaters auf der Waage der Gerechtigkeit. Unvermittelt riss sie ihn in der Mitte durch, und in der Stille des Raumes klang das Geräusch so laut wie ein Pistolenschuss. Sie zerriss ihn weiter in kleine Stücke, bis der Boden wie mit Konfetti bedeckt war. Er hatte seine Antwort.
»Ich finde allein hinaus.«
»Warten Sie!« Sie kam hinter ihm hergelaufen, als er gerade die Haustür öffnete und gierig die frische Luft einsog. »Sie sind doch ein weltgewandter, erfahrener Mann. Sagen Sie mir, glauben Sie, dass mein Paul noch lebt?«
Ihre Augen hielten ihn fest. Dieser Blick, der ihn anflehte, ihr irgendetwas, egal was zu geben, damit sie ihre Hoffnung am Leben halten konnte, beschämte ihn.
»Ja«, sagte er, und er merkte, wie sich sein Magen bei dieser Lüge schuldbewusst zusammenzog, »ja, das glaube ich.«
7
Aufgrund von Maidments revidierter Aussage konnte Nightingale ihn mit Einwilligung der Staatsanwaltschaft und Quinlans Einverständnis am 25. Juli um zehn Uhr erneut festnehmen. Sie hatte bis vier Uhr nachmittags Zeit, um die Beweise zusammenzutragen, die Quinlan davon überzeugen würden, den Major volle vierundzwanzig Stunden festzuhalten. In diesem Zeitraum konnte sie die Beweislage dann so wasserdicht machen, dass ein Richter sich dafür entscheiden würde, Maidment in Untersuchungshaft zu behalten und ihn nicht wieder gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen. Genau das erwartete die Staatsanwaltschaft von ihr, und man hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass man sich auf sie und ihr Team verließ.
Als das Telefon klingelte, überhörte sie es, doch die Sekretärin des Teams unterbrach sie trotzdem.
»Der Assistant Chief Constable ist am Apparat«, sagte sie mit weißem Gesicht. »Er ist nicht gerade erfreut, dass er Sie nicht direkt erreicht hat.«
Nightingale verzog das Gesicht.
»Stellen Sie ihn durch, oh, und schließen Sie bitte die Tür.«
Das Telefon klingelte, und sie nahm ab.
»Inspector Nightingale.«
»Na endlich. Gehen Sie seit Ihrer Beförderung grundsätzlich nicht mehr ans Telefon? Dafür sind Sie sich jetzt wohl zu fein, was?«
»Nein, Sir, keineswegs. Ich hab nur gerade dringende Arbeit auf dem Tisch liegen und …«
»Schon gut. Was soll der Quatsch, dass Sie Major Maidment wieder festgenommen haben? Ich habe doch erst letzte Woche angeordnet, dass er auf Kaution freigelassen wird. Der Mann ist eine Stütze der Gesellschaft.«
»Die Gründe für die Freilassung des Majors waren mir bewusst, Sir, aber inzwischen hat sich die Beweislage geändert, und die Staatsanwaltschaft erwägt eine Anklage wegen versuchten Mordes.«
»Lachhaft! Was sind das für Beweise? Die will ich sehen.«
»Die Beweise habe ich gesammelt, und ich lasse Ihnen eine Kopie meines Berichts zukommen, sobald
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