Sine Culpa
Nathan und Joe auf, die glatten Wangen noch immer tränennass. »Entzückend«, murmelte Joe, »genau wie du gesagt hast.«
»Und noch dazu ein ganz lieber Junge«, pflichtete Nathan bei und wischte Paul mit einem sauberen weißen Taschentuch die Tränen vom Gesicht. »Komm, mein Kleiner, lass uns schwimmen gehen, solange es noch warm ist.«
10
Das Telefonat gab Anlass zur Sorge.
Als er den Hörer wieder auflegte, dachte der Mann in dem blütenweißen Hemd mit den brillantenbesetzten Manschettenknöpfen darüber nach, dass er schon seit Jahren nichts mehr von Alec gehört hatte. Er wusste zwar, dass er an der Südküste lebte, kaum dreißig Meilen entfernt, aber sie hatten keinerlei Grund gehabt, Kontakt aufzunehmen, eher im Gegenteil. Die Geheimnisse, die sie miteinander teilten, blieben besser in Vergessenheit, und das wussten sie beide. Aber jetzt war einer der Männer, die für ihn arbeiteten, von Alec angesprochen worden. Er versuchte, Hilfe von ihm zu erpressen, indem er ihn mit ihrem früheren freundschaftlichen Umgang unter Druck setzte. Das war unerwartet, und vor allem unerwünscht, da er, seit Joe außer Landes gegangen war, geglaubt hatte, das Leben würde nun weniger riskant.
Was sollte er mit Alec machen? Diese Frage beschäftigte ihn, während er das Abendessen verspeiste, das seine Haushälterin für ihn vorbereitet hatte, ehe sie nach Hause gegangen war, um dort ihr kleines jämmerliches Leben zu führen. Er stellte sich vor, dass es aus dem Konsum diverser Seifenopern im Fernsehen bestand, unterbrochen von Besuchen im Pub gemeinsam mit ihrem Fettwanst von Ehemann. Dennoch, sie war diskret und tüchtig, und ihr Mann erledigte die einfachen Arbeiten ums Haus, die von ihm erwartet wurden, ohne irgendwas kaputtzumachen oder irgendwie zu stören, deshalb gestattete er ihnen, seinen Haushalt in Ordnung zu halten.
Er stellte das Tablett mit dem schmutzigen Geschirr neben der Spüle ab, wo sie sich am nächsten Morgen darum kümmern würde, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, die Sachen selbst in die Spüle zu räumen. Nach Jahren im Fernen Osten hatte er verlernt, sich zu derart niederen Arbeiten herabzulassen. Seine Fingernägel waren manikürt, die Haut seiner Hände zart und gepflegt, genau wie sein Leben.
Seine geordnete Existenz war genau so, wie er sie haben wollte, ohne ungebetene Einmischungen. Er hatte Macht und er war bekannt für seine Skrupellosigkeit, wenn ihm wer in die Quere kam, daher ließ man ihn ungestört gewähren, ließ ihn sogar im Zuge seiner Aktivitäten reich werden. Aber jetzt war Alec wieder aufgetaucht und hatte einen der Leute kontaktiert, von denen er sich wirklich fernhalten sollte. Sehr dumm von ihm.
William hatte ihn zwei Tage zuvor aus London angerufen und ihm mitgeteilt, dass Alec in der Stadt war und um einen Gefallen bat. Anscheinend hatte ihn sein regelmäßiger Lieferant im Stich gelassen, und er brauchte dringend neue Ware. William hatte ihn weggeschickt und ihn gewarnt, bloß nicht wiederzukommen, doch dann hatte er sich gefragt, ob es nicht doch besser wäre, Alec aus der Patsche zu helfen. Zumindest wüssten sie dann, was er vorhatte. Es war ein interessanter Gedanke, und der Mann ließ ihn sich durch den Kopf gehen, während er seinen eisgekühlten Whisky trank, so kalt, dass seine Lippen davon taub wurden, genau wie er ihn mochte.
Er beschloss, die Dinge erst mal ein paar Tage auf sich beruhen zu lassen und abzuwarten. Es gab keinen Grund zur Eile. Er wusste, wo Alec war, und konnte zu gegebener Zeit ganz nach Belieben mit ihm verfahren. In der Zwischenzeit gab es auch noch seine eigenen Bedürfnisse, die Aufmerksamkeit verdienten.
11
Sam stand zitternd in einer Ecke des Zimmers. Er war als Nächster an der Reihe. Die anderen Jungen waren alle beschäftigt, und wer als Nächster durch diese Tür kam, wäre seiner. Oder besser gesagt, Sam wäre seiner. Er starrte auf die Klinke, flehte insgeheim, dass sie sich nicht bewegen möge, obwohl er wusste, dass das hoffnungslos war. Es war erst sieben. Der erste Andrang war inzwischen abgeflaut, und jetzt wartete das ganze Etablissement auf den abendlichen Zulauf.
Sam war noch nicht ausgesucht worden, und das war sowohl gut als auch schlecht. Gut, weil es bedeutete, dass er noch frisch und sauber war. Schlecht, weil er in den wenigen Tagen, die er jetzt hier war, schon gelernt hatte, dass es kein gutes Zeichen war, als Letzter übrig zu bleiben. Er schniefte, seine Nase war wund von der neuen
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