Sine Culpa
Gary zu Hause. Der hat nämlich einen neuen Computer zum Geburtstag gekriegt.«
»Er ist doch erst acht.«
»Neun. Schenkst du mir einen, Dad? Ich werd doch auch bald neun.«
»Mal sehen. Apropos Geburtstag. Wir haben noch gar nicht richtig darüber gesprochen. Was möchtest du gern machen?«
In den Jahren davor hatte sein zurückhaltender Sohn nie Freunde einladen wollen, und sie waren stattdessen immer nur zusammen zu McDonald’s gegangen. Chris legte sein Gesicht nachdenklich in Falten.
»Ich würd gern eine Party machen«, sagte er schließlich zur Freude seines Vaters. Er schloss also doch endlich Freundschaften.
»Das find ich prima …«
»… aber sie muss besser werden als die von Tony Easter. Der erzählt dauernd rum, wie reich sein Dad ist und wohin sie in Ferien fahren, und seine Mum macht immer klasse Kostüme für die Schule.« Chris’ verzog angewidert das Gesicht. »Ein totaler Angeber.«
Der nackte Neid seines Sohnes irritierte Fenwick, und er war enttäuscht, dass sich hinter seinem Wunsch nach einer Party das Verlangen verbarg, vor den anderen anzugeben.
»Was für eine Party hatte Tony denn?«
»Die war super! Da gab’s eine Hüpfburg, einen Clown, der schon mal im Fernsehen war, und am Ende haben wir alle super Geschenke gekriegt.«
Chris zog einen Plastikkorb mit Spielsachen vom Wannenrand in das schaumige Wasser und fing an, sie zu versenken, während Fenwicks naive Vorstellung von einem Picknick auf dem Rasen mit anschließendem Versteckenspielen und Blinde Kuh verpuffte. Er wollte seinen Sohn nicht enttäuschen, aber hatte auch nicht vor, ihn darin zu bestärken, andere zu übertrumpfen. Er gab den Eltern die Schuld; machten die sich denn gar keine Gedanken um die Wertvorstellungen ihrer Kinder? Gott stehe ihnen bei, wenn sie sich dann als Teenager zu totalen Materialisten entwickelten.
»Was hältst du von einer richtig schönen Party, aber ohne Hüpfburg?«
Chris schüttelte resolut den Kopf und ertränkte einen Pterodactylus unter einer Puppe, die, wie Fenwick zu spät erkannte, Bess gehörte.
»He! Die gehört dir nicht. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du nicht mit Bess’ Puppen spielen sollst. Du weißt doch, wie wütend sie wird, wenn du sie kaputtmachst.«
Er fischte die pitschnasse Barbie einschließlich tropfendem Brautschleier, Hochzeitskleid und ramponiertem Blumenstrauß aus dem Wasser. Die Ohren seines Sohnes wurden leuchtend rot, ein sicheres Anzeichen dafür, dass sich ein Wutanfall anbahnte. Fenwick biss sich frustriert auf die Lippe. Er hätte Chris nicht so hart zurechtweisen sollen, weil das immer seine schlimmste Seite zum Vorschein brachte.
»Hör mal, wenn du versprichst, das du es nie wieder tust, trockne ich Barbie im Trockenschrank, dann merkt Bess hoffentlich nichts.«
Chris mied seinen Blick. In letzter Zeit reagierte er immer, wenn er bei irgendwas ertappt wurde, mit einem Wutanfall. Auf dem letzten Elternabend hatte seine Lehrerin Fenwick beiseite genommen und ihm gesagt, dass Chris ein verwirrter und trauriger kleiner Junge sei, der noch immer sehr unter dem Tod seiner Mutter litte. Sie vermutete, dass sich sein Jähzorn, der sein bedrücktes Schweigen immer öfter verdrängte, im Grunde nach innen gegen ihn selbst richtete, und sie hatte eine Familientherapie empfohlen. Fenwick hatte schroff erwidert, ihr gutgemeinter Rat sei überflüssig und er könne sich sehr wohl selbst um seine Kinder kümmern, vielen Dank. Danach war er ihr den Rest des Abends aus dem Weg gegangen.
Als er seinen Sohn jetzt ansah, fragte er sich zum ersten Mal, ob sie nicht vielleicht doch Recht hatte. Erwuchs seine Entschlossenheit, die Kinder ohne fremde Hilfe großzuziehen, aus einer übertriebenen Fürsorge und eigener Unsicherheit und beruhte nicht einfach nur auf gesundem Menschenverstand, wie er bislang geglaubt hatte? Die Liebe zu seinem Sohn stieg warm in ihm auf, und er umarmte ihn, ohne darauf zu achten, dass seine Krawatte ins Wasser hing.
»Na komm, du wirst schon ganz runzlig. Ich trockne dich ab, dann trinken wir einen heißen Kakao, und ich les dir eine Gutenachtgeschichte vor.«
Kakao und Schokolade waren immer etwas ganz Besonderes, da Alice nichts von Süßigkeiten hielt. Chris schwieg, als Fenwick ihn aus der Wanne hob, aber als er ihn in ein Handtuch wickelte und durchkitzelte, wand er sich kichernd, und als sie beide hinunter in die Küche gingen, hatte er sich wieder gefangen.
Bess saß im Bademantel an dem großen Kiefernholztisch im
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