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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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beschleunigt, verharrte Österreich in einem Zustand der Lethargie, und seine Einwohner wurden, wenn es nach den Theorien von Ernst Mach ging, zu einem Bündel von Empfindungskomplexen degradiert.
    »Da drüben werden wir unsere Zielpersonen bestimmt antreffen«, schlug der Sektionsrat vor, wobei er in Richtung eines Zwischengangs deutete, der den Empfangsbereich mit weiteren Räumlichkeiten verband.
    Die beiden Ermittler – der private und der offizielle – schlängelten sich durch die bereits anwesende Gästeschar, bis sie den Saal erreichten, den der Attaché zum Pläsier der geladenen Leute wohlweislich hatte umgestalten lassen. Es mochte wohl derselbe Innendekorateur zu Werke gegangen sein, der bereits die Badener Kasinos gestaltet hatte. Überall standen Spieltische, und die Atmosphäre war förmlich erfüllt von den Ausdünstungen des Nervenverschleißes. Jeder einzelne Tisch – sei es beim Roulette, beim Bakkarat oder bei einem anderen Jeu – war eingehüllt in dieses undefinierbare Fluidum aus Schweiß, Parfum, Gesichtswasser und Zigarrenrauch. Diese Mischung schien anfangs kaum zu ertragen zu sein, doch erstaunlicherweise gewöhnte man sich mit auffallender Schnelligkeit daran.
    Auf einer weiten und großflächigen Ebene erstreckten sich die Spielbereiche; linker Hand zweigte ein Korridor ab, der zu einem zweiten Raum führte, und im rückwärtigen Teil des Saals eröffnete ein Durchgang den Weg zu einem weiteren Raum, einem provisorisch eingerichteten Salle privée, wo um beträchtlich höhere Einsätze gespielt wurde.
    Warnstedt schielte sehnsüchtig in diese Richtung, ob er nicht vielleicht einige begüterte Herren erblickte, deren Gesichter ihm aus der Zeitung bekannt sein mochten: Adlige, Bankentycoons oder Rüstungsmagnaten. Doch sein Beamtensalär war nicht dazu angetan, die Schritte in diesen Saal zu lenken, und so beließ er es bei der bloßen Vorstellung. Vielmehr richtete er sein Augenmerk wieder auf die Anwesenden um ihn herum. Auch hier sah er Herren, die in Gehröcken und Westen ihre Pracht zur Schau stellten, und Damen, die es nicht lassen konnten, sich mit unpraktischen Federboas zu schmücken. Irgendwo im Hintergrund glaubte er, Arthur Schnitzler auszumachen, den er das letzte Mal an der Beerdigung gesehen hatte. Geraume Zeit lang stand er so neben Fichtner im Raum, und für einen Außenstehenden mochte es den Anschein haben, als sei er unschlüssig, was er als Nächstes zu tun habe.
    Der Sektionsrat räusperte sich. »Da drüben!«, meinte er leise, wobei er mit einem Kopfnicken leicht nach rechts deutete.
    Der Inspektor entdeckte Lina in der Menge. Neben ihr stand ein Mann, mit dem sie in ein angeregtes Gespräch vertieft war. Warnstedt hatte ihn noch nie von Angesicht zu Angesicht gesprochen, jedoch an der Trauerfeier in der Kirche gesehen, und so vermutete er, dass es sich um Stephan Schrader handeln musste. Ihm war eine selten gesehene Manieriertheit eigen. All die kleinen Gesten, all sein stummes Spiel und seine Gebärden sprachen von einem Selbstbewusstsein, wie es nur ein Mann von Welt haben konnte.
    »Ich glaube, sie suchen einen der Tische auf. Gehen wir auch hin«, schlug Fichtner vor, »aber lass uns trotzdem vorerst noch im Hintergrund bleiben.«

26. Kapitel
    Zu ihrem Glück verdeckte eine Masse an Glücksspielern den Roulettetisch, an dessen Seite Lina mit ihrem Begleiter stand. Stephan Schrader hob sich allein schon durch seine Größe von den umstehenden Personen ab. Sein gestutzter Schnurrbart schien zu vibrieren, wenn er mit Lina sprach. Der Ministerialbeamte händigte der Witwe eine Handvoll Jetons aus, von denen sie einige aufs Geratewohl setzte. Als ihr dabei kurz der linke Ärmel hochrutschte, fiel es Fichtner auf, dass ihr zierliches Handgelenk nicht mehr von der billigen Waterbury-Uhr, sondern von einer weitaus eleganteren Breguet geziert wurde.
    Schrader selbst legte zweieinhalb Gulden auf Impair. Eine kleine goldene Figur, die den galizischen Löwen darstellte, diente als Markierungsfigur auf dem Gewinnfeld. Einer der Croupiers nahm sie vom Tisch.
    Die Kugel rollte.
    »Dix-sept«, teilte der Chef de Partie mit. »Die 17, meine Damen und Herren.«
    Stephan Schrader wurden mit dem Rechen fünf Gulden zugeschoben, und er setzte sie allesamt auf Pair. Die Roulettekugel bewies ihre Unparteilichkeit dadurch, dass sie diesmal auf die Neun fiel. Lina, die bloß einige Kreuzer ins erste Drittel gesetzt hatte, bekam vom Bankhalter das Dreifache ihres Einsatzes

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