Sinfonie des Todes
farblich zur Kopfbedeckung passte, umschmeichelte die schlanke Taille und ergoss sich ausladend auf die Erde. Die Witwe hatte sich offensichtlich herausgeputzt, und obwohl es Gustav schleierhaft war, wozu, durchströmte ihn ein Glücksgefühl, als er die attraktive und verführerisch zurechtgemachte Frau erblickte.
Das Lächeln auf Linas Gesicht verschwand, als sie Wissel auf ihrer Veranda erkannte, und unwirsch fuhr sie ihn an: »Oh, was machst du hier, Gustav? Ich bin verabredet und habe überhaupt keine Zeit für dich.«
Wissels Mund klappte auf und zu, er rang verzweifelt nach den richtigen Worten, die wie aus seinem Kopf weggefegt waren, obgleich er sie zuvor noch mühsam einstudiert hatte.
»Ich wollte Sie nicht stören, werte Lina. Aber … ich … ich dachte, wir könnten …, na ja …, zusammen etwas trinken gehen.« Gustav fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Und reden. Oder so.« Er versuchte zu lächeln, doch es misslang ihm kläglich.
Lina, die schon einige Male unruhig zur Straße geäugt hatte, packte ihn brüsk am Handgelenk und zog ihn die Verandatreppe hinunter. »Ich bitte dich, Gustav, geh jetzt«, beschwor sie ihn eindringlich. »Ich bekomme bald Besuch.«
Wissel war nicht in der Lage, auf die Worte der Frau zu hören, geschweige denn, sie zu verstehen und anzunehmen. Bei ihrer Berührung hatte sein Verstand ausgesetzt, und all seine Gedanken und Gefühle konzentrierten sich auf den kleinen Teil seines Körpers, der von ihren Fingern umschlossen worden war.
Erst ein unsanftes Schütteln seiner Schultern brachte ihn wieder in die gegenwärtige Situation zurück, und er gewahrte Lina vor sich, die hektisch auf ihn einredete.
»Gustav, ich bitte dich, verschwinde endlich! Und lass mich für immer in Ruhe, hörst du?«
Wissel lächelte mit leeren Augen, die nichts wahrzunehmen schienen. »Meine Lina«, flüsterte er und strich ihr über die Wange. »Kommst du mit mir?«
Die Witwe erstarrte. Der skurrile Anblick ihres Verehrers flößte ihr Angst ein. Sie verstand sein Verhalten nicht und hoffte, er möge sich rasch entfernen. Doch Gustav dachte nicht daran. Er sah Linas Gesicht so nah vor seinem, seinen Mund nur eine Sekunde von ihrem entfernt … Mit einem tiefen Aufseufzen presste er die Lippen auf das leuchtende Rot, das ihn gelockt hatte. Er wollte versinken in immerwährendem Glück, als ein brennender Schmerz ihn jäh zurückweichen ließ.
Erschrocken hielt er sich die Wange, die von Linas Nägeln zerkratzt worden war, und suchte ungläubig eine Erklärung in ihrem Blick. Die Witwe funkelte ihn wütend an, spuckte zu Boden und zischte mit zitternder Stimme: »Du widerst mich an, Gustav. Geh mir aus den Augen und wage dich ja nicht wieder in meine Nähe.«
Das Tuckern eines Automobils wurde hörbar. Linas Miene hellte sich auf. Sie eilte zurück, um die Tür abzuschließen, rannte an Wissel vorbei zur Straße und winkte. Stephan Schrader, elegant gekleidet und sorgfältig frisiert, parkte seinen Wagen am Zaun und stieg aus. Sanft nahm er ihre Hand und küsste sie. »Sie sehen bezaubernd aus, meine Liebe. Ich fühle mich geehrt, Sie begleiten zu dürfen.«
Schrader öffnete die Beifahrertür und half der Witwe in den Benz. Erst als er mit federnden Schritten um die Haube lief, bemerkte er den ihm fremden Mann, der immer noch vor Fichtners Haus stand, die Hand am Gesicht, und sie mit seltsamem Blick beobachtete. Die Situation völlig verkennend, hob er fröhlich die Hand und rief: »Habe die Ehre! Möchten der Herr ein Stück mitfahren?«
Wissel schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf.
»Na gut, dann nicht. Auf Wiedersehen.« Stephan drehte das Schwungrad, um den Motor wieder anzulassen, zog dann schwungvoll die Tür auf und setzte sich in das Gefährt, das seinen ganzen Stolz darstellte. Lina hielt den Kopf gesenkt und nestelte umständlich an ihrem Kleid herum, um nicht noch einmal den Mann ansehen zu müssen, der sie dermaßen beschämt hatte.
Ihr Begleiter winkte Gustav zum Abschied zu und fuhr los. Die Räder quietschten auf dem feuchten Untergrund, als er den Wagen wendete.
Langsam ließ Wissel den Arm sinken. Rote Striemen zierten seine Wange, deren Feuer den ganzen Körper des Enttäuschten erfüllt hatte. Alles in ihm stand in Flammen, und sogar ein Unbeteiligter hätte das Glühen in seinem Blick erkennen können. Für diese Frau hatte er getötet, wegen dieser Frau hatte er sich für immer schuldig gemacht. Und genau sie hatte ihn nun fallen lassen. Doch
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