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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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Warnstedt aufgebrochen war, hatte er Kronenfeldt und Werlhoff bis zum nächsten Tag vom Dienst abgezogen, damit sie wieder einmal ein paar geruhsame Stunden mit ihren Familien verbringen konnten; und nun fragte er sich insgeheim, ob seine Entscheidung richtig gewesen war. Mehrere Minuten lang sprach niemand ein Wort, und Cyprian hütete sich, wie die alten Muhmen am Küchentisch vom Wetter zu sprechen, nur damit etwas gesagt war. Sie bogen in einige dunklere Gassen ab, erreichten dann aber den beleuchteten Michaelerplatz und fuhren über den Kohlmarkt, wo sie beim neuen Gebäude der Bäckerei Demel vorbeikamen. Im Schaufenster aufgehäufte Schokoladen- und Zuckerstücke, die von Gaslampen beleuchtet wurden, gaben einen opulenten Blickfang ab, wie der Polizist fand. Er dachte an die kandierten Veilchen, die schon der Kaiserin gemundet hatten, und für einen kurzen Augenblick lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
    Wiederum änderte die Kalesche die Richtung. Das Straßengewirr schien kein Ende zu nehmen.
    »Bald sind wir da«, unterbrach die Stimme des Sektionsrats seine Gedanken.
    Das Botschaftsgebäude war ein großer, klobiger Klotz ohne jegliches Gespür für die Feinheiten der Architektur, die Wien ansonsten so besonders machten. Es hatte den Anschein, als wäre der Bauherr einer dieser neumodischen Richtungen verfallen, die Fichtner verachtete. Kein erkennbarer Stil, keine dekorativen Elemente.
    Sie stiegen aus.
    Ringsum gab es eine große Ansammlung an Fahrzeugen, die sich hintereinander an den Bordsteinen reihten. Männer im Frack und Frauen mit Pompadour-Taschen, die all die kleinen Unerlässlichkeiten enthielten, die eine Dame der Gesellschaft bei sich führen musste. Sie alle schlenderten zum Portal, das von zwei Wappen der historischen Woiwodschaft Ruthenien flankiert war, die einen goldenen gekrönten Löwen vor weißem Hintergrund zeigten.
    Die beiden Neuankömmlinge taten es den anderen Gästen nach und folgten ihnen zum Eingang. Ein Blick zum Himmel genügte Warnstedt, um zu wissen, dass noch diese Nacht ein Schneesturm über die Stadt fegen würde.
    Man betrat das Haus durch eine Drehtür nach amerikanischem Vorbild, deren einzelne Scheiben bruchsicher und gepanzert waren, sodass jeglichen politisch motivierten Eventualitäten Vorschub geleistet wurde. Den zwei Männern, welche die Botschaft betraten, fiel sofort der abrupte Wechsel in ein angenehmes Klima der Ruhe auf, als sie nun in einem Vestibül standen. Der Boden war mit roten Teppichen belegt, die die Schritte dämpften und gleichzeitig eine wohlige Wärme ausstrahlten. Der ganze Eingangsbereich erinnerte an die Empfangshalle eines Hotels der gehobenen Klasse. Es gab auch eine Art Concierge, der von allerlei beflissenen Geistern bei seiner Arbeit unterstützt wurde und die neu Eingetretenen begrüßte und deren Einladungen begutachtete.
    Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt ihm Cyprian von Warnstedt den Dienstausweis hin. »Wir sind zwar nicht geladen, doch unser Oberkommissar, der ehrenwerte Camillo Windt, befindet sich unter den Gästen«, flunkerte er, »und es ist von wesentlicher Bedeutung, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen.«
    Der Concierge musterte ihn aus wachen Augen. Warnstedt, der dem jesuitischen Grundsatz, dass der Zweck die Mittel heilige, gefolgt war, hielt den Blicken eisern stand. »Die Herren können auch länger bleiben«, meinte der Empfangschef endlich, darum bemüht, eine Szene zu verhindern.
    »Wir sind Ihnen sehr verbunden«, meinte der Inspektor, wobei er einen ironischen Knicks andeutete.
    Sie durchschritten die Halle. Dabei kamen sie an Politikern und Honoratioren vorbei, welche sich – Zigarren paffend und Kognakgläser schwenkend – angeregt miteinander unterhielten. Wiens Hautevolee war hier versammelt. »Die armen Lemburger Steuerzahler«, bemerkte Cyprian. »Sieben Millionen Galizier arbeiten sich ab, damit hier in Saus und Braus gelebt werden kann.«
    Robert Fichtner verstand ihn nur allzu gut. Jeden Tag wurde in der Kapitale gefeiert. Mal gab eine Gesandtschaft aus Cisleithanien einen Ball, mal wurde bei einem Hofmeister aus Transleithanien soupiert. Gestern mochte man in der Vertretung der Markgrafschaft Mähren empfangen worden sein oder beim Delegierten der Grafschaft Görz und Gradisca; und heute war der galizisch-lodomerische Attaché an der Reihe.
    Das Kaisertum zehrte vom alten Glanz und erging sich in nie enden wollender Dekadenz. Während die restliche Welt urbaner wurde, mobilisiert und

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