Sinfonie des Todes
ausbezahlt.
»Gibt es hier kein unteres Limit?«, wunderte sich Warnstedt, den die lächerlich kleine Summe irritierte.
»Anscheinend nicht«, antwortete der Sektionsrat. »Aber warten wir mal ab, ob es ein Maximum gibt.«
Unterdessen hatte die Kugel wieder ihren Lauf auf der Scheibe aufgenommen und hüpfte über die schwarzen und roten Fächer. Die Veranstalter des Abends hatten einen amerikanischen Nummernkranz aufgestellt, welcher samt der Null und der Doppelnull 38 Zahlen aufwies und somit den Spielern geringere Chancen bot.
Stephan Schrader verlor auch die nächsten drei Durchgänge, bei denen er zehn beziehungsweise 20 und 40 Gulden auf Impair gesetzt sowie zwei Dutzend Gulden beim Coulonne eingebüßt hatte.
Der Tisch war kleiner als ein französischer und entsprach einem Rechteck mit abgerundeten Kanten. Auf der Höhe der Roulettemaschine saß ein bärtiger älterer Herr, der Drehcroupier. Ihm gegenüber hatte sich der Saladier niedergelassen, um auf Ansage die Einsätze der Gäste zu platzieren.
Lina Fichtner spielte à cheval, indem sie den Gegenwert von 600 Kreuzern auf die Trennlinie zwischen die 14 und die Elf setzte und somit bei einem Gewinn die respektable Summe von 170 Gulden erhalten würde. Schrader kratzte sich am Schnurrbart und brachte einige Jetons auf das unterste Douzaine in Position.
»Zéro«, erklärte der Croupier schließlich. Da niemand auf die Null gesetzt hatte, ging ein Raunen durch die Menge, als der Schieberechen die Jetons und alles auf dem Tisch befindliche Geld kassierte.
Robert Fichtner konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er von der Seite das zerknirschte Gesicht des Ministerialbeamten beobachtete.
Es wurde wieder für geraume Zeit gespielt.
»Ein neues Spiel, meine Damen und Herren«, raunzte der Croupier in breitem Wienerisch.
Dass Lina Fichtner sich anmaßte, an vorderster Front Beträge zu setzen, ließ einige der anwesenden Damen tuscheln. Als trauernde Witwe, deren Rolle ihr eigentlich zukam, war sie hier eindeutig fehl am Platz. Der Sektionsrat bemerkte das verhaltene Gerede der Gäste sofort. Fasziniert spitzte er die Ohren, um einige Wortfetzen zu erhaschen. Es war zwar kein vollendeter Skandal, dass sie sich hier an diesem Ort der Vergnügung zeigte, doch in den Augen der Öffentlichkeit wurde zumindest ihre aktive Beteiligung als schimpflich angesehen.
Einige der älteren Matronen hatten demonstrativ den Tisch verlassen. Doch es gab auch die jüngeren Damen, die mit verstohlener Bewunderung das Geschehen verfolgten.
»Denken Sie auch, was ich denke?«, wurde Robert Fichtner aus seinen Überlegungen gerissen.
Der Herausgeber Kraus hatte sich zu ihnen gesellt und stand nun, ein Glas Champagner in der Hand, dicht neben Warnstedt und spähte auf Zehenspitzen über die Köpfe der Anwesenden hinweg auf das Setzfeld.
»Oh, Karl, Sie hier?«, begrüßte ihn Fichtner. Auf sein Zeichen hin folgten ihm der Journalist und der Gendarm, damit sie sich abseits des Tisches besser unterhalten konnten. Er machte Kraus und den Inspektor miteinander bekannt, und nachdem sie sich die Hände geschüttelt hatten, erkundigte sich Robert: »Was meinten Sie eigentlich vorhin?«
»Nun, die offensichtliche Wirkung, die von Ihrer Schwägerin ausgeht«, bemerkte Kraus. »Sie ist eine auffallende Erscheinung. Ich habe mir sagen lassen, dass sie sogar bereits auf der Beerdigung für Furore sorgte: ein Trauerkleid von Gustavs Freundin … Alle Achtung! Da ziehe ich den Hut.«
An diesem Punkt mischte sich Cyprian von Warnstedt, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, in die Unterhaltung ein. »Das Samtkleid war von Wissels Freundin?«, fragte er verwundert, da hier – neben der Person des Ermordeten – womöglich noch ein weiteres Verbindungsglied zwischen dem skurrilen Wissel und der aparten Lina bestand.
Für einen Moment starrten ihn der Sektionsrat und Kraus ungläubig an.
»Mein lieber Warnstedt«, lachte der Herausgeber plötzlich schallend auf und klopfte ihm auf die Schultern. »Es mag noch mehrere Gustavs geben als nur den Ihren. Wien ist voll von Gustavs.«
»Ich verstehe nicht ganz«, gestand der Inspektor.
»Er meint Klimt«, erklärte Robert belustigt. »Emilie Flöge, Linas Hausschneiderin, ist die Freundin von Klimt.« Und indem er jede Silbe einzeln betonte, fügte er lächelnd hinzu: »Gustav Klimt.«
»Ah, schon verstanden«, sagte Warnstedt säuerlich. »Aber was meinten Sie mit Ihren Bemerkungen über Frau Fichtners Furore?«
»Es liegt
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