Sinfonie des Todes
auf Warnstedts Karte, die sich tatsächlich als Ass entpuppte. Der Sektionsrat hob die Hand, um den erneuten Stich nach Schraders Zug, bei dem es sich um die Trumpf-Drei handelte, an sich zu nehmen.
»Das Glück scheint uns hold zu sein«, meinte der Inspektor und kratzte sich an der Nase, um sich über seinen nächsten Schritt klar zu werden. Er warf die Kreuz-Fünf in die Mitte. Stephan gab überraschend die Herz-Vier und presste dabei verbissen die Lippen aufeinander. Robert, dem es um seine Trümpfe zu schade war, verwarf die Kreuz-Sieben und wartete auf Linas Einsatz. Diese legte die Kreuz-Zwei auf den Tisch, und ihr Mitspieler klaubte zufrieden die Karten zusammen.
Das Spiel nahm seinen Lauf.
Immer wieder kam der Sektionsrat nicht umhin, Schrader zu betrachten und sich Gedanken über ihn zu machen. Je länger die Partie dauerte, umso mehr war er davon überzeugt, dass der Ministerialbeamte irgendetwas mit dem Mord an Wilhelm zu tun haben musste, ihn wahrscheinlich sogar selbst begangen hatte. Und Lina, seine strahlend schöne, unschuldig wirkende Schwägerin, gab diesem Unhold ein Alibi. Aus Liebe? Eher nicht. Vielmehr mussten andere Gründe existierten, die ihm noch nicht ersichtlich waren. Und warum sollte Schrader seinen Mitarbeiter überhaupt umgebracht haben? Meistens spielt bei verbrecherischen Motiven Geld eine Rolle. War dies auch hier der Fall? Die Geschäftsprüfung, die Stephan während ihres gemeinsamen Spaziergangs erwähnt hatte, kam ihm in den Sinn. Das mysteriöse Kassenbuch, die Fälschungen, die so leicht bewerkstelligt werden konnten, Wilhelms Spielschulden.
Und plötzlich glaubte Robert zu wissen, warum sein Bruder sterben musste.
Am Ende des ersten Spiels markierten Cyprian und sein Partner drei Punkte über dem Buch, Lina und Stephan keine. Letzterer mischte die Karten neu und verteilte sie für eine weitere Partie.
Fichtner, den eine unbändige Lust gepackt hatte, den Beamten vorzuführen, ließ süffisant die Worte fallen: »Was halten Sie von einem speziellen Einsatz bei der nächsten Runde? Ich denke da zum Beispiel an ein Doppelexemplar von einem Kassenbuch.«
»Was meinen Sie damit?«, fuhr ihn der Angesprochene erregt an.
»Ich glaube nicht, dass Sie während dieses Spiels betrügen«, versetzte der Sektionsrat, »aber bei der Arbeit, die Sie im Kriegsministerium ausführen, wäre ich mir nicht so sicher.«
»Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass ich Geld unterschlagen hätte? Wie können Sie es wagen …« Der Beschuldigte hatte sich, trotz Linas beschwichtigender Bemühungen, erhoben und stützte drohend die Fäuste auf die Tischkante.
»Nicht nur das«, entgegnete Fichtner ruhig.
Cyprian schnappte nach Luft, als er seinen ehemaligen Kollegen dies sagen hörte. »Wollen wir uns nicht wieder dem Whistspiel zuwenden, meine Herren? Bitte, beruhigen Sie sich«, bemühte er sich um eine Entschärfung der Lage.
Doch Robert dachte nicht daran, der gut gemeinten Aufforderung des Inspektors zu folgen. Er war in Fahrt gekommen und nicht mehr aufzuhalten.
»Sie, Herr Schrader, haben nicht nur das Kassenbuch gefälscht, nein, Sie haben auch meinen Bruder ermordet.«
Stephans Faust fuhr krachend auf den Tisch, als er die Worte des Sektionsrats vernahm. »Das nehmen Sie augenblicklich zurück!«, schrie er aufgebracht.
Linas Gesicht drückte Angst aus, als sie ihn am Arm fasste und flehte: »Stephan, bitte, setzen Sie sich!«
Einige der Gäste unterbrachen ihre Partien und drehten neugierig die Köpfe, um die Ursache des aufgekommenen Lärms auszumachen. Sie tuschelten leise miteinander, als sie Schrader wütend am Spieltisch stehen sahen. Aus dem Hintergrund hob sich Schnitzlers Silhouette ab, der in den Lichtkreis eines der Nachbartische getreten war und von dort interessiert herüberblickte.
»Wenn Sie nicht krank wären, würde ich Sie zum Duell fordern«, schäumte der Beleidigte und ließ sich widerwillig auf den Stuhl zurücksinken.
Robert, dem inzwischen alles gleichgültig geworden war und der den baldigen, unvermeidlichen, von der Tuberkulose verursachten Exitus im gesamten Körper spürte, hielt dem flammenden Blick seines Kontrahenten stand und erwiderte: »Ich nehme an.«
Alle am Tisch starrten ihn ungläubig an. Warnstedt schüttelte den Kopf. »Bitte, Robert, sei vernünftig«, beschwor er ihn eindringlich. »Ein Duell ergibt doch keinen Sinn – und ist auch noch ungesetzlich. Du bringst mich als Gendarmerie-Inspektor in eine missliche Lage, wenn du
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