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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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ausging, waren nichts mehr als Reflexe von Eindrücken, die er als Schlafender in wachem Zustand gehabt hatte. Fichtner war nun wach; er war wach und gleichzeitig in der Laune, jemanden bis aufs Blut zu ärgern oder mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen.
    Schwer atmend hielt der Sektionsrat inne, um gewahr zu werden, wo er sich überhaupt befand. Als er ein Straßenschild bemerkte, schlug er die Richtung zum Wienerwald ein, wo die Villa seines toten Bruders lag.
     
    Lina Fichtner war wütend. Der Abend hatte einen unglückseligen Verlauf genommen, anders als erwartet, und die gute Stimmung, die sie sich erwünscht hatte und die sie endlich auf andere Gedanken hätte bringen sollen, war ausgeblieben. Voller Unlust hatte sie – kaum wieder daheim – ihren Mantel am Garderobenhaken aufgehängt und sich auf dem Weg ins Schlafzimmer nach und nach ihrer Kleider entledigt, sodass nun Schuhe, Strümpfe, der dunkelblaue Hut, selbst das mühsam zu öffnende Oberteil und noch andere Wäschestücke in wüster Unordnung auf der Treppe und im Flur auf dem Boden lagen.
    In völliger Nacktheit, bis auf die Uhr an ihrem Handgelenk, stand sie an der Balustrade der Galerie, die von der oberen Etage eine beschränkte Sicht auf den weitläufigen unteren Teil des Hauses freigab. Das Geländer unten wackelte noch immer, wie sie zu ihrem Missfallen bemerkt hatte, und sie hasste ihren toten Mann umso mehr dafür.
    Sie wandte sich dem Zimmer zu, jenem schrecklichen Zimmer, wo sie Wilhelm aufgefunden hatte, und begab sich zur Wohnwand mit dem Grammofon. Die Ruhe in den vier Wänden ihres Heimes mutete seltsam an, und es war Lina, als ob sie die Stille durchbrechen müsste.
    Sie ersetzte die Nadel, legte ihre Lieblingsplatte auf – eine Aufnahme des ersten Satzes von Beethovens Sinfonie Nr. 5 in c-Moll, Allegro con brio – und ließ den Tonarm sinken, bevor sie die an der Seite festgemachte Kurbel betätigte.
    Kraftvoll setzte das Anfangsmotiv mit seinen drei markanten Achteln auf G ein, denen ein lang gezogenes Es folgt. Die Witwe ließ sich von der rhythmischen Kraft mitreißen, die durch das Unisono der Streicher entstand, und wiegte sich hin und her. Die Celli und Fagotte setzten ein, schufen einen harmonischen Ton, und schließlich, an einer der Stellen, als ein leiser Achtel-Fluss erreicht war und die Instrumente beinahe flüsterten, vermeinte Lina, ein Geräusch zu vernehmen: der unerwartete Klang der Türglocke.
    Erschrocken hielt sie inne. Da war sie wieder, die Klingel. Sie eilte aus dem Arbeitszimmer und schlug den Weg ins Schlafzimmer ein, wo sie einen Revolver aus der Schublade ihres Nachttischchens zog.
    Wehe, wenn es wieder dieser Wissel war, diese kriechende, Speichel leckende, jämmerliche Gestalt. Mit ihren eigenen Händen mochte sie ihn erwürgen, so sehr graute es sie vor ihm. Eine andere Frau, weniger gebildet, weniger hübsch, hätte vielleicht einen Trost darin gefunden, einen erneuten Verehrer um sich zu wissen. Doch Lina war eindeutig aus anderem Holz.
    Sie warf sich einen Schlafmantel über und ging nach unten. Mit gespanntem Abzugshahn näherte sie sich der Eingangstür.
    »Wer ist da?«, rief sie nervös, wobei ihre Hände leicht zitterten.
    Dumpf drang die Antwort durch das Eichenholz zu ihr in die Halle: »Mach auf, Lina. Ich bin’s, Robert.«
    Erleichtert ließ sie die Waffe sinken, sowie sie die Stimme erkannt hatte, und entsicherte das Schloss. Der Besuch des Sektionsrats zu dieser vorgerückten Stunde war ihr nicht minder unangenehm, wie es eine Visite von Wissel gewesen wäre, doch zumindest wusste sie sich hier vor allfälligen Avancen in Sicherheit.
    Ihr Schwager sah erbärmlich aus, als er in die Wärme des Hauses trat. Sein obligater Schal um den Hals war vom Schnee durchnässt, von der Krempe seines Huts rann das Schmelzwasser. Seinen stieren Blick führte sie auf die Schwindsucht zurück. Es mochte wohl nicht mehr lange gehen bis zum finalen Blutsturz. Aber ihr war dies einerlei.
    »Was führt dich zu mir?«, erkundigte sie sich müde und zupfte sich dabei ihren Schlafmantel zurecht. »Reichlich spät, meinst du nicht auch? Man könnte meinen, ich empfange einen Chapeau, einen Kavalier aus der Umgebung. Wenn sich die Nachbarn da mal nur nicht das Maul zerreißen.«
    »Geschmacklos wie ehedem«, brummte Fichtner.
    Lina sah auf und starrte ihm feindselig in die Augen. »Weniger geschmacklos, als mitten in der Nacht einfach hier aufzutauchen. Und dazu noch nach dieser Szene, die du eben geboten

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