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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Festivals zerrten wie ein Kleinkind am Rockzipfel seiner
Mutter.
    Er holte tief Luft und lehnte sich gegen den Block, der wie
Bernstein aussah und doch kein Bernstein war. »Wer bist
du?«, fragte er lautlos und spürte dabei die glatte warme
Oberfläche unter seinen Händen. Die Antennen unter seiner
Haut strahlten Informationen in die gebündelte Substanz aus, die
in kalten Wellen durch den Wald flutete, und warteten auf
Antwort.
    »Ich-Identität: Felix. Deine???«
    »Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus und bereiten
Sie sich darauf vor, Ihr Schicksal der Avantgarde der
Revolutionsjustiz zu überantworten!« Burija schluckte.
Eigentlich hatte er etwas ganz anderes sagen wollen, etwa:
»Können Sie herauskommen, damit wir miteinander
reden?« Doch seine revolutionären Implantate umfassten
offenbar auch ein semiotisches Umwandlungssystem. Und dieses neue, im
Cyberspace angesiedelte Medium übersetzte alles, was er sagte,
in die Phraseologie des Zentralkomitees. Erbost über die innere
Zensur, beschloss er, sich beim nächsten Mal darüber
hinwegzusetzen.
    »Schlimm verletzt. Keine Verbindung zur früheren
Inkarnation. Möchte/brauche Hilfe bei der
Metamorphose.«
    Burija wandte sich um und lehnte sich mit dem Rücken gegen
den Block. »He, Kaninchen, bekommst du irgendetwas davon
mit?«
    Das Kaninchen setzte sich auf und schluckte ein Büschel Gras
hinunter. »Wovon?«
    »Ich habe eben mit deinem… äh… Herrn
gesprochen. Kannst du uns hören?«
    Ein Ohr zuckte. »Nein.«
    »Gut.« Burija schloss die Augen, ließ sich wieder
auf die Doppelsicht ein und versuchte zu kommunizieren. Aber sein
Implantat spielte immer noch verrückt. »Wie sind Sie
hierher gekommen? Was möchten Sie erreichen? Ich dachte, Sie
steckten in einer Klemme«, kam heraus als: »Gestehen
Sie dem Tribunal Ihre konterrevolutionären Verbrechen! Welche
Aufgabe wollen Sie in dem unermüdlichen Kampf gegen die
reaktionäre Mittelmäßigkeit und die bourgeoise
Wachstumsideologie übernehmen? Ich dachte, Sie hätten sich
des vorsätzlichen Rowdytums schuldig gemacht!«
    »Verdammt noch mal«, murmelte er laut. »Es muss
doch eine Möglichkeit geben, das abzustellen.« – Ah. »Tut mir Leid, mein Interface ist ideologisch voreingenommen.
Wie sind Sie hierher gekommen? Was möchten Sie erreichen? Ich
dachte, Sie steckten in einer Klemme.«
    Nach und nach sprudelte eine Antwort heraus und drang aus dem
Geröllblock bis zu Burija vor. Gleich darauf setzten bei ihm
visuelle Wahrnehmungen ein, sodass er einige Minuten lang hautnah die
Flucht eines verängstigten Knaben vor dem Fringe miterlebte.
    »Aha. Also hat das Festival dich mumifiziert, während du
auf die Behebung deiner Schäden gewartet hast. Und jetzt bist du
bereit, irgendwo anders hinzugehen – wohin? Was ist
das?«
    Ein weiteres Bild. Sterne, endlose Weiten, winzige dichte und sehr heiße Körper, die traumlos die Lichtjahre
durchschlafen, bis sie zu einem Wüstensturm explodieren, auf
einer neuen Welt Blätter und Blüten treiben, absterben und
wieder schlafen – bis sich alles wiederholt.
    »Ich hoffe, ich habe das richtig verstanden.
Ursprünglich warst du also der Gouverneur. Und danach wurdest du
zu einem achtjährigen Jungen und hattest zur Gesellschaft ein
paar freundliche Tiere, die sprechen konnten, denn du hattest dir
irgendwie gewünscht, ›ein interessantes Leben zu
führen‹ und viele Abenteuer zu erleben. Und jetzt
möchtest du ein Sternenschiff sein? Und du möchtest, dass
ich dir als nächster greifbarer Delegierter des
Revolutionären Zentralkomitees helfe?«
    Nicht ganz. Eine weitere Vision, diesmal lang und komplex,
die jede Menge politischer Vorschläge beinhaltete. Zu Burijas
Ärger bemühte sich sein Implantat, diese Vorschläge in
grafische Darstellungen von Pflanzenerträgen umzusetzen, die die
Fortschritte bei der Erfüllung eines Fünfjahresplans
für die Landwirtschaft zeigten. Burija zuckte zusammen. »Du
möchtest, dass ich das in die Tat umsetze? Wofür
hältst du mich, für einen freien Menschen, der nach
Belieben handeln kann? Erstens würde mich das
Kuratorenbüro, sobald ich auftauche, erschießen. Schon gar
nicht würden die Leute auf etwas hören, das man dort als
Landesverrat ansieht. Zweitens bist du nicht mehr Gouverneur.
Und selbst wenn du’s wärst, würden die dich bei einem
solchen Vorschlag schneller abservieren, als du mit den Fingern
schnippen kannst. Falls dir dieses Feuerwerk gestern nicht
aufgefallen ist: Das war die kaiserliche Flotte

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