Singularität
ist, da wir diesmal viele neue
Mannschaftsmitglieder angeheuert haben. Gehört zu den neuen
Bestimmungen im Wehrdienst. Ich selbst«, er deutete sich mit dem
fleischigen Daumen auf die Brust, »bin nicht dienstverpflichtet.
Ich lebe auf dem Schiff, zu dem wir jetzt unterwegs sind. Und ich
will dort noch so lange leben, dass ich meine Pension kassieren kann.
Also werde ich nicht zulassen, dass ihr oder sonst jemand irgendetwas
tut, das mich oder mein Zuhause in Gefahr bringt. Die erste Regel der
Raumfahrt« – sie schlingerten wie Betrunkene zur Seite, und
von unten war ein beunruhigend lautes Gerassel zu hören –
»lautet, dass Fehler tödlich sind. Das All ist uns nicht
freundlich gesonnen, im Gegenteil, es bringt einen um. Und gibt einem
keine zweite Chance.«
Als wollte Rachels Magen diese Feststellung noch unterstreichen,
sackte er ihr regelrecht weg. Einen Augenblick lang hatte sie das
Gefühl, etwas Riesiges, Gummiartiges, Unsichtbares greife nach
ihr, um sie auseinander zu reißen, dann schwebte sie. Die
Rekruten wirkten allesamt so verblüfft wie Obermaat Moronici
selbstgefällig.
»Der Hauptantrieb müsste sich in rund fünf Minuten
einschalten«, verkündete er. Ein Krachen und Knacken
erschütterte die überfüllte Kabine, als sie vorsichtig
nach links schwenkte: Schubdüsen waren damit beschäftigt,
die Fähre aus dem Dock zu manövrieren. »Wie ich schon
sagte, sind Fehler hier meistens tödlich. Und ich habe nicht die
Absicht, mich von euch umbringen zu lassen. Deshalb werdet ihr
Grünschnäbel, während ihr euch an Bord der Lord
Vanek befindet, genau das tun, was ich oder sonst ein Maat oder
Offizier euch zu tun befiehlt. Und ihr werdet es mit einem freudigen
Lächeln tun, selbst wenn ihr Scheiße fressen müsst,
denn sonst ramme ich euch die Köpfe so weit in den Arsch, dass
ihr euch mit den eigenen Zähnen die Mandeln rausnehmen
könnt, kapiert?« Rachel schenkte er auch weiterhin keine
Beachtung und erkannte damit stillschweigend an, dass sie sich
außerhalb seiner Befehlsgewalt befand.
Die Rekruten nickten. Als einer von ihnen mit grünlichem
Gesicht würgte, zog Moronici mit einem Ruck eine Kotztüte
aus dem hinteren Netz eines Nachbarsitzes und hielt sie ihm vors
Gesicht. Rachel war klar, was der Obermaat mit seinen
»aufmunternden« Worten bezweckte: Damit wollte er die
Rekruten schlicht von der Desorientierung in Folge der
Schwerelosigkeit ablenken.
Rachel schloss die Augen und atmete tief durch, was sie sofort
bedauerte: Die Fähre stank schal nach Schweiß, vermischt
mit einer Spur von Ozon und dem widerlich süßlichen Geruch
von Aceton. Es war schon lange her, dass sie gebetet hatte, aber
jetzt betete sie mit aller Kraft darum, dass diese Fahrt in einer
Konservendose ein schnelles Ende finden möge. Diese
Blechbüchse war bei weitem die mieseste Raumfähre, die sie
seit Jahrzehnten bestiegen hatte, eine alte Klapperkiste wie aus
einer historischen Schmonzette. Der Flug schien endlos lange zu
dauern, bis sie schließlich, selbstverständlich mit einem
heftigen Schlag und lautem Scheppern, an der stabilisierten
Andockschleuse der Lord Vanek anlegten. Gleich darauf
ächzte und knirschte es, als sie ins Innere gezogen und nach
oben geschleudert wurden, gefolgt von einem durch den Druckausgleich
verursachten Zischen.
»Ähm, Oberst?«
Als sie die Augen aufschlug, sah sie den Obermaat Moronici vor
sich stehen. Er wirkte irgendwie verunsichert, als wüsste er
nicht, wie er mit ihr verfahren sollte.
»Alles klar, Obermaat. Ich bin auch früher schon an Bord
fremder Marineschiffe gegangen.« Sie stand auf. »Erwartet
mich jemand?«
»Ja, Madam.« Er starrte stur geradeaus, als wäre
ihm dies alles überaus peinlich.
»Schön.« Sie löste die Sicherheitsgurte, stand
auf, wobei sie die von der Drehung des Schlachtkreuzers
ausgelöste unstete Schwerkraft spürte, und zog sich das
Barett gerade. »Führen Sie mich hin.«
Die Luftschleuse öffnete sich. »Abteilung,
prä-sen-tiert die Gewehre!«
Als sie auf die Landungsbrücke trat, spürte sie von
allen Seiten ungläubige Blicke. Ein höherer Offizier –
ein Kommandeur, falls sie seine Abzeichen richtig deutete –
erwartete sie mit völlig unbewegter Miene, hinter der sich die
unvermeidliche Verblüffung verbarg. »Oberst Mansour,
Waffeninspektion der Vereinten Nationen«, stellte sie sich vor.
»Hallo, Kommandeur…«
»… Murametz.« Er blinzelte vor Verwirrung.
Ȁh, Ihre Papiere? Leutnant Menvik hat mir mitgeteilt, Sie
seien dem
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