Sinnliche Eroberung
tun können. Sie war ausmanövriert worden. Man hatte sie als herzloses, egoistisches Ungeheuer hingestellt. Also bitte, wenn sie es so haben wollen, dachte Diana.
Nachdem der Doktor gegangen war, kehrte Diana ins Wohnzimmer zurück, um nach Prudence zu schauen. Ihre Tante konnte den triumphierenden Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht ganz verbergen, freilich schmerzensreich in ihrem Sieg.
»Prudence, ich habe nachgedacht - Bath ist ein idealer Ort, um Einkäufe zu machen. Die Konfektionsläden in der Milsom Street beliefern einige der bedeutendsten Damen der Gesellschaft. Wenn ich also bereit sein soll, nach Bath zu reisen, dann kann ich dort doch ebensogut gleich eine neue Garderobe für mich ordern. Eine, die mehr meinem Geschmack entspricht.«
Diana sah, wie ein Ausdruck ehrlicher Pein über das Gesicht ihrer Tante glitt, als dieser klar wurde, daß Diana schacherte. Was für ein raffiniertes kleines Luder sie doch war!
Kaum eine Stunde später waren die Reisevorbereitungen in vollem Gange. Biddy wurde von Prudence gescheucht, um deren Sachen zu packen. Diana selbst nahm nur sehr wenig mit, denn sie gedachte, Bath leerzukaufen! Sie ging in die Bibliothek, um sich ein Buch für die Reise auszusuchen. Während ihr Finger über die dicken Bände glitt, überlegte sie, welche Auswirkungen der Aufenthalt in Bath wohl auf ihre Zukunft haben mochte. Peter Hardwick kam ihr in den Sinn und ihre letzten Worte, bevor sie sich von ihm verabschiedet hatte: »Ihre Einladung ist äußerst schmeichelhaft, Peter, aber ich werde nicht nach Bath kommen.«
»Doch, das werden Sie!« hatte er geschworen.
Diana erschauderte, wenn sie an den Blick in seinen Augen dachte.
»Biddy, du setzt dich neben Lady Diana. Ich brauche diesen Sitz hier für mich. Stecke einfach ein Kissen hier unter meine schlimme Hüfte - vorsichtig, Mädchen, vorsichtig - und dann können wir losfahren.«
Diana, der von der Aussicht, einhundert Meilen in einer engen Kutsche mit Prudence verbringen zu müssen, graute, hatte sich mit einem Band Ovid aus der Sammlung ihres Vaters gewappnet. Da ihr die Pikanterien des Buches bekannt waren, hatte sie es zwischen die Seiten des Bath Chronicle gesteckt. Sie blätterte den Band durch, bis sie auf »Die Kunst des Liebens« stieß. Da stand nicht gerade das, was sie erfahren wollte; aber immerhin lernte sie, daß die Römer davon überzeugt waren, die Frauen seien nur zum Vergnügen des Mannes geschaffen und ohnehin wären allesamt unkeusche Sinneswesen. Ovids amouröse Traktate handelten von Erotik pur; es ging um die Kunst, den Körper einer Frau bestmöglich zu genießen.
Diana, die verärgert darüber war, daß Ovid den Verstand oder die Persönlichkeit einer Frau vollkommen außer acht ließ, klappte das Buch erzürnt zu. Dann stöhnte sie innerlich, denn das laute Geräusch hatte Prudence geweckt. Von da an bis zu ihrer Übernachtung in Reading war Diana gezwungen, Prudences Vorträgen über ihr Lieblingsthema, die Schicklichkeit, zu lauschen. Schicklichkeit!
Der folgende Tag kam ihr endlos vor, so daß Diana ihre Gedanken nach vorne, auf ihr Ziel schweifen ließ. Sie konnte es kaum erwarten, Bath zu sehen. Seine antiken Stätten waren berühmt. Die Römer hatten sie erbaut und Aquae Sulis genannt. Der Name allein verlieh ihrer Fantasie Flügel.
Als die Kutsche den letzten Hügel hinunter und über die mit eleganten Bögen versehene Brücke ratterte, verwandelte der Sonnenuntergang Bath in eine Stadt aus Gold. Diana hielt den Atem an. Sie war vollkommen verzaubert von der Schönheit dieses Ortes. In diesem Moment be schloss sie, ihren Aufenthalt in vollen Zügen zu genießen. In ihrem Lebenshunger gedachte sie, hier die beste Zeit ihres bisherigen Daseins zu verbringen!
Als James den Stadtzoll bezahlte und sich nach dem Weg zum Queen Square erkundigte, wurde er aufgeklärt, daß Fahrzeuge in Bath verboten waren und er die Kutsche im White Swann Inn unterstellen müßte, nachdem er die Damen zu ihrem Quartier gebracht habe.
Obwohl Diana ein Haus mit Blick auf den Avon anstelle des Blicks auf die Wälder und Hügel, auf denen Schafe und Pferde weideten, vorgezogen hätte, musste sie zugeben, daß der Queen Square die vorteilhaftere Lage besaß. Der moderne Platz war von dem Architekten Wood entworfen worden und ähnelte dem Innenhof eines Palastes. Die Fassade bestand aus dem örtlichen Stein, mit großen, hochaufragenden Fenstern. Im Innern des Hauses gab es zwei große, L-förmige Wohnzimmer, die um eine
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