Sinnliche Eroberung
Wagenrennen im Cir-cus Maximus sehen. Ja, ich würde mich am liebsten selbst dabei versuchen.«
»Die Rennen besuche ich kaum. Mich interessieren mehr die Gladiatorenkämpfe und die wilden Tiere - und natürlich die Hinrichtungen.«
Da Marcus nichts Unterhaltsames an einer Hinrichtung finden konnte, dachte er, daß ihn Petrius vielleicht zu ärgern versuchte, doch dann überraschte ihn sein Bruder mit einem Kompliment.
»Wenn du an den Rennen teilnähmst, würdest du sicher gewinnen, so wie heute.«
»Da bin ich nicht so sicher, Petrius. Die Briten sind die besten Wagenlenker der Welt. Alles, was ich kann, habe ich von ihnen gelernt.«
»Nero importiert so viele, wie er bekommen kann. Warum sind sie besser als die Römer?«
»Weil sie immer noch Streitwagen zur Kriegsführung benutzen. Wir haben das Vorjahren aufgegeben, was meiner Meinung nach ein Fehler war. Unsere Fußsoldaten sind zu langsam, um wirkungsvoll gegen sie zu kämpfen. Die Insulaner hier kommen und gehen wie der sprichwörtliche Blitz. Warte nur, bis du ihnen in einer Schlacht begegnest; du wirst kaum glauben, was sie alles zustande bringen.«
»Die römische Legion ist die beste Militärmaschinerie, die die Welt je hervorgebracht hat«, sagte Petrius im Brustton der Überzeugung.
Während ihres Gesprächs hatten sie sich auf den Eßliegen niedergelassen, und tadellos ausgebildete Sklaven servierten die vielen Gänge des vorzüglichen Mahls. Zwischen jedem Gang brachten wieder andere Sklaven Schüsseln mit parfümiertem Wasser und Handtücher. Petrius platzte fast vor Mißgunst angesichts der Teller aus purem Gold.
»Trotzdem sind unsere Verluste kolossal. Aber mach dir keine Sorgen, ich bringe dir alle nötigen Tricks bei. Deshalb hat man euch ja nach Aquae Sulis geschickt.«
»Akzeptable Verluste sind der Preis, den wir für die Eroberung der Welt bezahlen müssen!«
»Ja, das sind sie«, bestätigte Marcus grimmig.
»Wie hast du es hier nur all die Jahre ausgehalten, so fern von Rom?« fragte Petrius neugierig.
Marcus musste an die Zeit denken, als er zwölf Jahre alt gewesen war. Kaiser Claudius hatte eben erst Britannien überfallen und seinen Ehrgeiz, ein römischer General zu werden und fremde Länder zu erobern, entfacht. Wegen seiner Größe und Kraft konnte er bereits mit vierzehn in die Armee eintreten. »Ich mag Britannien, besonders Aquae Sulis. Unter Claudius sind die Leute aus allen Teilen des Kaiserreichs hierhergeströmt. Sie haben sich mit Briten verheiratet und sind äußerst zivilisiert geworden. Die meisten sprechen Latein so gut wie du und ich; sie haben die römische Art sich zu kleiden angenommen. Kaufleute aus den entferntesten Ecken der Welt haben sich hier niedergelassen, so daß jede erdenklichen Waren angeboten werden. Hier haben wir Träger aller Kulturen, wir haben Theater, Arenen und Tempel. Trotz unserer Lage nahe am Meer ist es hier nicht so überfüllt wie in Rom. Politische Intrigen finden woanders statt, und ein wahrer Schatz sind unsere heißen Quellen, die mit einer konstanten Temperatur von fünfundvierzig Grad Celsius aus der Erde sprudeln!«
Als das Essen abgeräumt war, wurde der Wein serviert.
»Nun, ich mag diesen Ort ja nicht so bewundern wie du, aber an den hiesigen Austern und dem Wein habe ich nichts auszusetzen«, sagte Petrius gutmütig.
»Laß uns gehen. Wie würdest du den Abend gerne verbringen?«
»Mir würde Theater gefallen. Aber keine deiner langweiligen Stücke von Sophokles, nein danke. Eine deftige Komödie wäre nicht schlecht. Dann vielleicht ein Besuch in einer Luxuria. Ihr habt hoffentlich solche Stätten der Freude?«
»Man nennt sie hier Bordelle. Einige unserer Prostituierten kommen aus so fernen Landen wie Asien und Arabien.«
»Habt ihr vielleicht auch Nubierinnen? Und kann ich die Dienste eines Mädchens und eines Jungen in Anspruch nehmen?«
»Bloß gut, daß ich heute abend Austern servieren ließ«, sagte Marcus trocken. Er hatte sich auf den Abend mit seinem Bruder gefreut, aber nun, da es soweit war, wäre er tausendmal lieber zu Hause geblieben. Flüchtig dachte er an das liebliche Wesen, das ihn in seiner Kammer erwartete. Seine Lust auf eine grobe, verdorbene Hure schwand von Minute zu Minute.
Petrius wählte ein Mimentheater. Es war eine grelle Farce, in der der Geliebte von der Rückkehr des eifersüchtigen Gatten überrascht wird und gezwungen ist, sich unter dem Bett zu verstecken. Als nächstes konnte man den Jammer des Geliebten mit ansehen, der
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