Sinnliche Maskerade
für diesen Einsatz erkenntlich zeigen; sie wusste aber auch, dass ihr wahrer Einsatz nur den Büchern ihres Vaters galt. Die Fracht würde an den Käufer gehen, den sie für den geeignetsten hielt, ungeachtet dessen, ob der Mann auch den höchsten Preis zahlte. Diese kleine Klausel würde sie natürlich für sich behalten. Außerdem hatte sie die Absicht, jeden potenziellen Käufer mit den Augen ihres Vaters zu betrachten.
»Das muss reichen«, sagte sie, »verstauen Sie die Kiste bitte im Innern des Postwagens. Sie darf dem Wetter nicht ausgesetzt sein.«
Während sie sich die Handschuhe überstreifte, folgte sie dem Mann, der die schwere Kiste schulterte. Merkwürdigerweise fühlte sie sich heiter und beschwingt und ertappte sich bei der Fantasie, dass das Licht der Morgensonne, das die geöffnete Eingangstür umrahmte, ihr leuchtend den Weg in die Freiheit wies. Was natürlich lächerlich war, denn auf ihrem Weg durch die Halle mussten ihre Schritte weiterhin so gesittet sein, wie es einer Bibliothekarin angemessen war.
Am Fuße der Treppe stand Lady Maude, noch im Morgenmantel. Alexandra knickste.
»Guten Morgen, Ma’am.«
»Sir Stephen und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass es nicht nötig ist, das Geld für ein Hotel an Sie zu verschwenden«, stieß Lady Maude aus, »gestern wurde eine Nachricht an die Bediensteten im Douglas-Haus geschickt, die Ihren Besuch ankündigt. Ich möchte behaupten, dass Sie sich dort ausreichend wohlfühlen. Das Haus steht seit einem Jahr leer, aber wir haben vor, es in diesem November für die Saison zu öffnen.«
Jetzt erst erfuhr Alexandra, dass der Plan geändert worden war. Ihr Herzschlag schien auszusetzen. Was, wenn die Bediensteten, die auf das Haus in London aufpassten, bereits zur Truppe ihres Vater gehört hatten? Sämtliche älteren Hausangestellten, die sie noch aus ihrer Kindheit kannten, waren im Testament von Sir Arthur mit einer kleinen Pension bedacht worden und hatten Combe Abbey verlassen. Daher war sie dort nicht Gefahr gelaufen, erkannt zu werden; aber sie hatte keine Ahnung, wie es sich in London verhielt. All die alten Diener am Berkeley Square, die sie kannten ... gekannt hatten, mahnte sie sich streng. Schließlich war sie fünfzehn Jahre alt gewesen, als sie sie zuletzt gesehen hatte, und in ihrer gegenwärtigen Verkleidung zeigte sie keinerlei Ähnlichkeit mit dem überschäumenden jungen Mädchen von damals. Nein, die Bediensteten würden sie natürlich nicht erkennen.
Wieder knickste sie, murmelte ein paar Worte und trat dann ihre Flucht in das blasse, kühle Sonnenlicht an, wo ihre Hochstimmung gleich der nächsten kalten Dusche ausgesetzt war. Denn sie hatte sich alle Mühe gegeben, ihre Begleitung zu vergessen. Aber dort saß Peregrine Sullivan oben im Sattel seines großen, grauen Wallachs, zog den Hut und schenkte ihr ein Lächeln, bei dessen Wärme ihr Magen sich verkrampfte.
Peregrine schwang sich aus dem Sattel und verbeugte sich, als sie die kurzen Treppenstufen auf den Kiesweg hinunterschritt.
»Mistress Hathaway, Ihre Begleitung meldet sich zu Diensten.«
Alexandra nickte nur kurz.
»Guten Morgen, Sir«, murmelte sie und achtete wieder darauf, dass die Teekiste auch tatsächlich an der anderen Tür der Kutsche deponiert wurde. Dann drehte sie sich zu Sir Stephen um. »Alles in Ordnung, Sir Stephen. Sobald ich in London herausgefunden habe, wie groß das Interesse an der Sammlung ist, melde ich mich bei Ihnen.«
»Ja, tun Sie das ... tun Sie das. Denken Sie aber daran, nicht länger als eine Woche zu bleiben. Hier werden Sie auch gebraucht, wie Sie ja wissen. Die geschäftlichen Angelegenheiten erledigen sich nicht von selbst.«
Sie senkte den Kopf.
»Nein, in der Tat, Sir. Ich werde mich beeilen, die Sache schnell abzuschließen.« Peregrine hielt ihr den Kutschenschlag auf. Sie stieg ein und setzte sich auf die abgeschabten Lederpolster. Es war nicht die bequemste Kutsche und ganz bestimmt auch nicht das neueste Modell, aber, wie sie vermutete, die günstigste, die in Dorchester zu bekommen war.
»Sitzen Sie bequem, Ma’am?« Peregrine streckte den Kopf durch die Tür.
»Ja danke«, erwiderte sie steif und schaute auf der anderen Seite aus dem Fenster. Wenn sie sich nur genug anstrengte, konnte sie zumindest zeitweise den Blickkontakt meiden, den diese erzwungene Reise mit sich brachte.
Nun, so soll es sein. Peregrine schürzte die Lippen und schloss die Tür, der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und die Kutsche
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