Sinnliche Maskerade
großartige Schauspielerin und ein unglaub-lich manipulierendes Biest. Zu Beginn dieser außerordentlichen Unterhaltung war ihm ebenso flüchtig wie zögernd durch den Kopf geschossen, dass sie selbst die Bücher stehlen wollte; aber dafür käme nur die öffentliche Kutsche infrage. Sie würde spurlos im Schlund der Hauptstadt verschwinden können oder sogar einen Wagen nehmen, der in entgegengesetzter Richtung aus London fortführe. Niemand würde sie je finden. Eine Privatkutsche hingegen konnte man jederzeit nachverfolgen.
»Hmm.« Sir Stephen zögerte immer noch, er überschlug die Kosten für die Beförderung. »Mit der Postkutsche muss es Postillione geben, Vorreiter ...«
Peregrine hüstelte. Er hatte seine Hilfe angeboten; hier war nun seine Gelegenheit.
»Ich wäre höchst erfreut, Mistress Hathaway nach London zu begleiten, Sir Stephen. Ich würde mich glücklich schätzen, neben ihrer Kutsche zu reiten, wodurch die Notwendigkeit von Vorreitern entfiele.«
»Nein, wirklich, Sir, ich brauche Ihre Begleitung nicht«, widersprach Alexandra scharf. »Und ich sehe auch nicht, dass Vorreiter notwendig sind, Sir Stephen. Ich brauche nur den Kutscher und einen Postillion.«
»Ma’am, ich denke, mit solch wertvoller Fracht sollten wir sämtliche Vorsichtsmaßnahmen bedenken«, sagte Peregrine und lächelte sanft. »Sowohl mit Pistolen als auch am kleinen Schwert gelte ich als recht geschickt. Ich denke, falls es unangenehm wird, kann ich sehr nützlich sein.« Und mit einem Glitzern in den Augen fügte er hinzu: »Mir bereitet es keinerlei Ungelegenheiten. Schon bald kehre ich nach London zurück und stehe Ihnen dann voll und ganz zur Verfügung.«
»Nun, das ist eine ausgezeichnete Lösung, Sir«, verkündete
Sir Stephen erleichtert. »Sehr gut, Sir, wirklich sehr gut. Mistress Hathaway wird sich über Ihre Begleitung sicher freuen.«
Das werden wir ja sehen, dachte Peregrine, konnte aber nicht deuten, was der grüblerische Ausdruck in ihren klaren grauen Augen zu bedeuten hatte.
Alexandra dachte rasch nach. Wenn sie Peregrines Angebot akzeptierte, war ihre Flucht aus Combe Abbey zwar gesichert; nur ihr Plan, Sylvia zu besuchen, wäre zum Teufel. Aber glücklicherweise hatte sie sich stets geschickt an neue Gegebenheiten anpassen können. Irgendwie würde sich schon eine Lösung finden, und zunächst einmal war ja ihre Flucht gesichert. Dankbar lächelte sie ihn an.
»Das ist sehr freundlich, Sir. Ich bin überzeugt, dass ich Ihren männlichen Begleitschutz als äußerst beruhigend empfinden werde.«
Peregrine verbeugte sich.
»Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen zu Diensten zu sein, Ma’am.«
Kapitel 7
»Hier ist ein Brief für dich, meine Liebe. Sieht nach Mistress Alex’ Handschrift aus.« Eine Frau mit einem runden Gesicht stürmte zur Hintertür ihres reetgedeckten Häuschens hinaus in Richtung der Buche, unter der ein Gartensessel stand, in dem wiederum eine junge Frau saß, eingewickelt in eine Decke.
»Oh, gib schon her, Matty. Seit über einer Woche hat sie nicht mehr geschrieben.« Begierig drehte die junge Frau sich um und streckte die Hand aus. Sylvia war die blassere Version ihrer Schwester — zerbrechlich, wo Alexandra geschmeidig und stark war, und das braune Haar eine Nuance heller als das üppige Kastanienbraun ihrer Schwester. Aber die grauen Augen waren genau gleich, klar und scharf vor Intelligenz. Die Hand, die nach dem Brief griff, war eher dünn, aber trotzdem elegant.
»Obacht, meine Liebe, du darfst dir keine Erkältung einfangen.« Matty stopfte ihr die Decke enger um den Leib. »Nachmittags wird es schon sehr kühl.«
»Aber es ist immer noch ein schöner Herbst, Matty.« Mit dem Fingernagel schlitzte Sylvia das Wachs auf. »Ich möchte gern so lange wie möglich draußen bleiben. Die Sonne gibt mir das Gefühl, kräftiger zu sein.«
»Nun, dann vielleicht noch eine halbe Stunde.« Matty blickte zur Sonne hinauf, die langsam tiefer sank. »Und jetzt lies den Brief. Wie geht es dem Kind?«, plapperte sie weiter, »ich mache mir Sorgen. Was sie jetzt wohl wieder im Schilde führt ... andererseits, Mistress Alex hat schon immer etwas im Schilde geführt.«
Sylvia war so sehr in den Brief versunken, dass sie nur mit unverständlichem Gemurmel antworten konnte, während ihr Blick Alex’ forsche, stolze Handschrift entzifferte. Diese Schrift war wie alles andere an ihrer Schwester: klar, geradeheraus, ohne Schnörkel.
Liebste,
es sieht so aus, als hätte ich einen Weg
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