Sinnliche Maskerade
abschloss. Könnte hinkommen, beschloss sie und verstaute ihre schäbigen Frauenkleider.
Die Hose und das Lederwams sorgten dafür, dass sie sich wundervoll frei fühlte. Sie steckte sich das Haar sicher auf dem Kopf fest, rückte die Wollmütze zurecht und zog sich den Schirm tief ins Gesicht. Zuletzt knüpfte sie sich ein Tuch im Nacken, und dann übte sie in der Kammer kurz das Auf- und Abmarschieren, bis sie sich in den Schritten wohlfühlte, die so gar nicht zu einer Lady passen wollten.
Sie verließ ihre Kammer und schloss die Tür sanft hinter sich. Wo steckte Peregrine? Bestimmt noch in der Wirtsstube. Oder vielleicht hatte er sich auch in sein Zimmer zurückgezogen. Sie erinnerte sich, dass seine Kammer zur Vorderseite auf die High Street hinauszeigte. Es könnte also sein, dass er gerade aus dem Fenster schaute, wenn sie das Gasthaus verließ. Alex glaubte zwar nicht, dass er, selbst wenn er sie auf der Straße erspähte, irgendetwas Ungehöriges beobachten würde; aber wie sie zu ihrem
Leidwesen hatte erfahren müssen, hatte Peregrine bereits viel zu viel durchschaut. Um auf der sicheren Seite zu sein, würde sie durch die Küchentür des Gasthauses in den Hof schlüpfen und die Straße über den bogenförmigen Seiteneingang in den Hof des Gasthauses erreichen.
Am Ende des Nebenkorridors entdeckte sie die Hintertreppe und eilte nach unten. In der geschäftigen Küche tummelte sich ein Durcheinander von Köchen und Dienern, die aus der Vorratskammer hasteten, um die großen Kessel umzurühren, die auf dem Feuer dampften. Von den massiven Kieferntischen in dem steingefliesten und niedrigen Raum, an denen drei Küchenmädchen Pastetenteig ausrollten, stoben Mehlwolken auf, und eine rotgesichtige Frau, die eine Schöpfkelle schwenkte, schrie einen Küchenjungen an, der Hammelbeine in drei Pfannen über einer riesigen Feuerstelle umdrehte. Niemand beachtete den jungen Menschen, der durch die Küche zur Hintertür flitzte, die offen stand, um die dampfende Hitze abziehen zu lassen.
Erleichtert atmete Alex aus, als sie an der frischen Luft war, und fragte sich kurz, wie man nur in solch wahnsinniger Hitze arbeiten konnte. Trotz allem sind diese Leute in der Lage, ein ausgezeichnetes Dinner zuzubereiten, dachte sie anerkennend und bahnte sich ihren Weg durch den Hof. Gerade hatte eine Kutsche den Torbogen passiert; Stallburschen und Pferdeknechte beschäftigten sich mit dem Gespann, sodass sie auch diesmal unbeachtet auf die High Street schlüpfen konnte. Es war beinahe sechs Uhr, aber noch immer hielten sich viele Leute auf der Straße auf, als sie sich zum Mietstall aufmachte, der am Ende der schließlich steil zum Hafen abfallenden Straße lag.
Als sie noch im Konvikt St. Catherines gewesen war, war Lymington die am nächsten gelegene Stadt gewesen, mit einem
Wochenmarkt, der die Menschen aus den umliegenden Dörfern anzog. Die Stadt und ihre Geschäftigkeit waren Alex also vertraut. Bei Gelegenheit hatte sie ihr eigenes Pferd oder das Pony von St. Catherines mitsamt der kleinen Kutsche im Stall untergebracht, während sie zusammen mit Helene irgendetwas auf dem Markt zu erledigen hatte. Aber sie war zuversichtlich, dass der Inhaber des Mietstalls in dem jugendlichen Arbeiter nicht die lebendige junge Frau erkennen würde, die Mistress Simmons aus dem Konvikt für junge Ladys so viele Monate zuvor begleitet hatte.
Der Inhaber des Mietstalls hockte auf einem umgestülpten Wasserkübel im Hof und rauchte eine Maispfeife. Er blickte den jungen Besucher, der über den gepflasterten Hof zu ihm kam und mit ihm sprechen wollte, nur mäßig interessiert an.
»Ich muss ein Pony leihen«, stieß Alex umstandslos aus, »bis morgen Nachmittag.«
Er nickte, musterte sie abschätzend.
»Geh davon aus, dass Sally für dich reicht. Bist nicht besonders schwer, Bursche.« Er hievte sich von dem Kübel hoch. »Wohin willst du mit ihr?«
»Nicht weit. Nur bis Barton. Will dort nach Arbeit suchen. Bringe sie morgen Nachmittag zurück.«
»Oh, aye.« Er nickte. »Dann lass mich mal deine Münzen sehen.«
Alex zog einen Goldsovereign aus ihrer Geldbörse. Für die Arbeit in der Bibliothek und für ihren Aufwand mit seinen Finanzinvestitionen zahlte Sir Stephen ihr ein Pfund pro Woche. Ein großer Teil ihrer ursprünglichen fünfzig Pfund war in die Scharade gegangen; aber auf Combe Abbey hatte sie nur sehr wenig ausgegeben und versucht, ihre Geldbörse gefüllt zu halten. Es war ihr verhasst, ihre Ersparnisse
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