Sinnliches Erwachen
Vergangenheit zu trösten. Hatte Sorge getragen, dass Koldo beigebracht wurde, wie man auf richtige Weise kämpfte, dass er einen sicheren, bequemen Schlafplatz hatte und immer etwas Anständiges zu essen.
Das war Koldos erste Erfahrung mit ehrlicher Sorge und ernst gemeintem Interesse gewesen, und schon bald hatte er begonnen, Germanus zu lieben. Noch heute würde er bereitwillig sterben, um ihn zu beschützen.
„Warum hast du dich mit Nox vereinigt?“, fragte er seine Mutter, während er vor dem Käfig auf und ab schritt.
„Warum nicht? Er war ein sehr schöner Mann.“
Manche Frauen fanden einen so gefährlichen Mann wohl attraktiv, nahm Koldo an. Trotz des kahlen Kopfs und der toten Augen hatte er ein betörenderes Gesicht besessen, als Koldo je zuvor gesehen hatte. Eine gewisse Klarheit in seinen Zügen,eine Ausstrahlung, von der die meisten Wesen nur träumen konnten.
„Hast du gehofft, du könntest ihn zähmen? Hast du geglaubt, du wärst die eine, die ihn ändern könnte?“
Cornelia kämpfte sich auf die Füße, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet. Niemals wandte sie ihm den Rücken zu, wo sich ihre wunderschönen weißen und goldenen Flügel erhoben. Sie rechnete damit, er würde sie ihr nehmen. Und sie tat gut daran. Das war eine seiner größten Versuchungen.
„Das Böse kann man nicht ändern“, entgegnete sie.
„Hat er dich mit einer anderen betrogen? Vielleicht mit einer, die seiner eigenen Rasse angehörte? Einer Frau, die seinen speziellen Gelüsten eher gewachsen war? Aber vielleicht hat er sich ja auch mit vielen anderen Frauen vergnügt.“
„Halt die Klappe.“
Doch das konnte er nicht. Er kam der Wahrheit immer näher. Auch wenn es ihm den Magen umdrehte, fuhr er fort. „Er hat über dich gelacht, weißt du. Hat immer gesagt, du hast ihn geliebt, hast ihn angefleht, mit dir zu schlafen, bei dir zu bleiben. Hat erzählt, dass du in Tränen ausgebrochen bist, als er dich verlassen hat. Hat erzählt …“
„Sei still, sei still, sei still!“, kreischte sie und warf sich an die Gitterstäbe, wo Koldo stand. Sie rüttelte so heftig daran, dass er überrascht war, dass das verstärkte Metall standhielt.
Eigentlich hätte ihn ihre wutschäumende Reaktion befriedigen müssen. Genau das hatte er immer bei ihr sehen wollen. Zorn, Frustration. Hilflosigkeit. Ein Spiegelbild all dessen, was er so viele Jahre lang empfunden hatte. Doch stattdessen verstärkte sich seine Übelkeit. Wie konnte er einer Frau so etwas antun? Egal welcher?
Wie konnte er ein Wesen seiner Art quälen?
Sie spuckte auf seine Stiefel. „Ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr, dass ich kaum Luft kriege. Ich hasse dich so sehr, dass ich lieber in diesem Käfig verrotten würde, als je so zu tun, als würde ich dich lieben, oder mich zu entschuldigen für das, was ich mit dir gemacht habe. Nichts davon tut mir leid! Und das wird es auch niemals. Damals wie heute warst du eine widernatürliche Abscheulichkeit. Ich werde tanzen an dem Tag, an dem du stirbst.“
Schmerz und Wut gesellten sich zu der Collage von anderen Emotionen und verdichteten die Dunkelheit in seinem Kopf, schlugen von Neuem krachend gegen den Damm, den er in seinem Geist errichtet hatte. Er trat zurück, fort von ihr, damit er nicht auf sie losgehen und ihr ein Ende bereiten würde – und damit genauso wäre wie sein Vater. Hartnäckig folgte ihm ein Duft von Jasmin und Geißblatt.
Selbst hier trug sie den verhassten Geruch mit sich herum.
Was hatte ein unschuldiger kleiner Junge getan, um eine solche Zurückweisung zu verdienen? Wie konnte sie Koldo die Schuld daran geben, wie sein Vater sie behandelt hatte?
Wie konnte es sein, dass Koldo das immer noch wehtat, selbst nach all der Zeit?
„Falls ich je sterbe“, erklärte er, „wirst nicht du der Grund dafür sein. Du bist zu schwach. Du warst immer schwach, nur deshalb hat Nox sich von dir abgewandt.“
Wieder spie sie ihm auf die Stiefel.
Mit geballten Fäusten beamte er sich in seine Wohnung in Südafrika. Über die Welt verstreut, besaß er sechzehn Stützpunkte, alle sorgsam verborgen vor neugierigen Menschenaugen, doch dieser hier wurde mehr und mehr zu seinem Lieblingsort. Hier verbrachte er den größten Teil seiner freien Zeit.
Noch bevor er ganz Gestalt angenommen hatte, schlug er schon auf die Wände ein, riss die frisch geheilte Haut an seinen Knöcheln auf. Blut spritzte. Knochenknackten.
Diesmal verrauchte seine Wut nicht so schnell.
Stunden schienen zu vergehen,
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