Sintflut
überfiel, so würden sie ihn wie einen Raubmörder, nicht wie einen Soldaten verfolgen. Dazu kam, er war in einer ganz fremden Gegend, wo ihn niemand kannte. Wer würde sich ihm hier anschließen? In Litauen vereinigte der Zauber seines Namens Scharen von unerschrockenen Tollköpfen um ihn. Wer hier aber von Kmicic etwas gehört hatte, der hielt ihn für einen Verräter und Parteigänger der Schweden; und sein angenommener Name war für jedermann nichtssagend.
»Alles, was ich tue, ist überflüssig,« dachte er, »zu spät. Es hat keinen Zweck nach Podlachien zu fahren, denn die Konföderierten werden mir nicht glauben. Nach Litauen zurückzukehren, ist unnütz, denn dort herrscht Radziwills eiserne Macht. – Es ist zwecklos, hier zu bleiben; hier ist nichts zu tun für mich. – Das beste wäre der Tod! Nichts sehen zu müssen von dieser Welt und frei zu werden von all der Gewissensqual! – Doch wird es im Jenseits besser sein für die, die auf Erden gesündigt und nicht gebüßt haben?«
Kmicic wälzte sich unruhig auf seinem Lager hin und her. Seine Seelenpein war unerträglich und noch größer, als wie er sie in Kiemlicz' Hütte empfunden hatte. Er fühlte sich stark und gesund, ihn verlangte heiß nach Tätigkeit, aber alle Wege waren ihm versperrt, kein Ausweg, keine Rettung, keine Hoffnung! –
Traurigen Herzens brach Kmicic mit seinen Leuten noch Warschau auf. Das Ziel und den Zweck seiner Reise, er kannte sie beide selbst nicht. –
In Pultusk feierte man die Einnahme Krakaus drei Tage lang, übrigens waren die Nachrichten, die nach Przasnysz gedrungen waren, etwas übertrieben: Czarniecki war nicht in Gefangenschaft geraten, sondern hatte mit seinen Truppen und Waffen frei abziehen dürfen. Man vermutete, daß er nach Schlesien gehen würde. Für Kmicic war das, wenn auch nur ein geringer, so doch immerhin ein Trost.
In Pultusk war es, wo Kmicic zum ersten Male feindliche Truppen in einer Kirche kampieren sah. In einem herrlichen, gotischen Gotteshause, das vor zweihundert Jahren erbaut war, lag ein Infanterieregiment deutscher Söldner. Die Kirche war im Innern wie an den großen Festtagen hell erleuchtet. Auf dem Steinboden brannten Scheiterhaufen, über denen Kessel hingen. Und fremde Soldaten drängten sich um Bierfässer herum, lauter Räubergesindel, das einstmals das ganze katholische Deutschland verwüstete und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum ersten Male sein Lager in Kirchen aufgeschlagen hatte. Das heisere Gebrüll einiger Soldaten, die Kriegslieder sangen, mischte sich mit dem Kreischen von Weibern, die der damaligen Sitte gemäß hinter dem Heere herzogen.
Einen Augenblick blieb Kmicic an der Tür stehen, dann wandte er sich entsetzt von diesem Anblicke weg. Der Kopf schwindelte ihm, und sein Atem schien zu stocken, – ein Bild der Hölle hätte ihn nicht schrecklicher berühren können.
Er griff an seinen Kopf und stürzte wie besessen von dannen, indem er mehrmals wiederholte:
»Gott, mildere deinen Zorn! Gott, strafe, Gott, rette uns!« – –
9. Kapitel.
In Warschau wirtschafteten schon seit langem die Schweden. Da Wittemberg, der eigentliche Gouverneur der Stadt und Befehlshaber der Garnison, gerade, als Kmicic dort ankam, in Krakau war, so vertrat ihn Radziejowski. Mehrere tausend Soldaten lagen in der Stadt selbst und in den mit herrlichen Palästen bebauten Vororten. Überall sah Kmicic die Spuren räuberischer Hände. Am meisten hatten die Einwohner der Stadt unter den Plünderungen der Schweden zu leiden, die bei ihrem Einmarsch geflohen waren oder ihnen Widerstand entgegengesetzt hatten. In der Weichsel lagen dreißig ungeheure Flußkähne, die die geraubte Beute nach Schweden bringen sollten.
Die Physiognomie Warschaus hatte sich völlig geändert. Man hörte auf den Straßen fast gar nicht polnisch reden; immer drangen die Laute fremder Sprachen an Kmicic' Ohr. Wohin er sich wandte, überall stieß er auf Soldaten: auf schwedische, deutsche, französische, englische und schottische. Überall fremde Farben, fremde Gesichter, fremde Lieder!
Inmitten dieser vielsprachigen Menge verlor sich die einheimische Bevölkerung fast gänzlich; viele waren geflohen, andere wieder saßen zu ihrer eigenen Sicherheit fest eingeschlossen in ihren Häusern und zeigten sich nur in ganz notwendigen Fällen auf der Straße. Hin und wieder nur erinnerte ein herrschaftlicher, von national polnisch gekleideten Dienern oder Soldaten umringter Wagen Kmicic daran, daß er sich in
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