Sintflut
einer polnischen Stadt befinde.
Da Kmicic niemand in Warschau kannte, dem er sein bedrücktes Herz ausschütten konnte, so trieb es ihn bald von dort fort. Zwar hatte er hier und da in öffentlichen Gebäuden mit Schlachtschitzen gesprochen, aber was er von ihnen gehört hatte, hatte ihn aufs tiefste erbittert. Alle Edelleute gaben sich für große Verehrer der Schweden aus, die in Abwesenheit Karl-Gustavs den Schweden um den Bart gingen, in der Hoffnung, bei der Konfiskation privater und geistlicher Güter etwas einzuheimsen.
Einzig und allein die Kleinbürger waren es, die das unglückliche Vaterland und den verdrängten, gutherzigen König bedauerten. Man erzählte, daß die Zünfte Waffen versteckt hätten, und daß die Büchsenmacher, Metzger, Gerber und die Schneider mit Ungeduld auf Jan-Kasimirs Rückkehr warteten, und bei der geringsten Hilfe bereit wären, gegen die Schweden vorzugehen.
Kmicic traute seinen Ohren nicht. Es war ihm unbegreiflich, daß diese einfachen Leute mehr Vaterlandsliebe und Treue zu ihrem Könige besitzen sollten, als die Schlachta, die dazu durch ihre Stellung vor Gott und ihrem Gewissen verpflichtet war. Aber mehr und mehr mußte er sich davon überzeugen, daß gerade die Schlachta und die Magnaten auf seiten der Schweden standen, während die Bürger mehr Neigung zum Widerstand zeigten. Es kam vor, daß Handwerker, die von den Schweden zu den Befestigungsarbeiten gezwungen wurden, Schläge, Gefängnis, ja selbst den Tod vorzogen, ehe sie die Hand dazu boten, die verhaßte Sache des Feindes zu fördern.
Hinter Warschau sah Kmicic nur noch Soldaten und Schlachtschitzen, die in schwedischen Diensten standen. Alle, die den Schweden zu widerstehen gewagt hatten, waren niedergemetzelt oder irgendwie unschädlich gemacht worden. Niemand glaubte an eine Rettung des Vaterlandes; niemand dachte an Widerstand, und Anordnungen der Schweden, die zu jeder anderen Zeit die hartnäckigste Opposition hervorgerufen hätten, wurden mit Eifer und Eile ausgeführt. Die Panik ging so weit, daß selbst schwer Geschädigte den gnädigen Protektor rühmten. Am allerschlimmsten aber trieben es die schwedischen Parteigänger und Verräter des Vaterlandes. Da ihnen alles erlaubt war, so erinnerten sie sich früherer Streitigkeiten und alter Beleidigungen und zahlten sie unter dem schwedischen Schutze hundertfach heim. Räuberbanden, polnisches, schwedisches, deutsches Gesindel überfielen die ruhigen Einwohner und legten überall Feuer an. Auf den Städten lastete die eiserne Hand der Soldaten, und auf dem Lande und in den Wäldern die der Wegelagerer.
Solche Marodeure hatten auch das Gut eines Pan Luszczewski überfallen, gerade, als Kmicic' Weg ihn dort vorüberführte. Der Pan Luszczewski, ein alter Soldat, hatte tapferen Widerstand geleistet, aber er wäre doch unterlegen, wenn Kmicic ihm nicht im kritischen Momente zu Hilfe geeilt wäre. Der Gutsherr dankte seinem Befreier herzlich, und Pan Andreas gestand ihm seinen tödlichen Haß gegen die Schweden. Er hoffte in seinem Innern, daß der alte Soldat seine gemarterte Seele durch einen Funken Hoffnung laben würde, aber er sah sich bitter getäuscht.
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen würde, wenn ich um dreißig Jahre jünger wäre; aber die Erfahrungen eines fünfundsiebzigjährigen Lebens sind nicht spurlos an mir vorübergegangen. An der Schwelle des Grabes stehend, sehe ich alles klar. Und ich sehe, daß nicht Polen allein, sondern auch ganz Europa unfähig ist, die schwedischen Macht zu brechen.«
»Was Sie sagen? – Und warum eigentlich?« rief Kmicic aus, »seit wann sind die Schweden denn unbesiegbar? Ist unser Land denn weniger bevölkert? Können wir nicht ein größeres Heer stellen?«
»Wie könnten wir die Schweden besiegen, da Gottes Wille dagegen ist, wie die Prophezeiungen es vorher gesagt haben! Ach, nach Czenstochau sollten die Leute wallfahren, ja, nach Czenstochau sollten sie gehen und ihre Sünden bereuen!«
Und Pan Luszczewski versank in Schweigen.
Die untergehende Sonne beleuchtete mit ihren Strahlen einen Teil des Zimmers, während der übrige Teil in der Dämmerung verschwamm. Kmicic wurde es recht unbehaglich zumute.
»Von welchen Prophezeiungen sprechen Sie?« fragte er, um das ungemütliche Schweigen zu unterbrechen.
Pan Luszczewski wandte statt einer Antwort seinen Kopf nach der entgegengesetzten Richtung und rief laut:
»Alexandra! Alexandra!«
»Mein Gott! Wen rufen Sie?«
Die Tür tat sich auf, und ins
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