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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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draußen erdröhnte ein zweiter, dritter und vierter Schuß.
    »Vivat die Republik! Mögen alle ihre Feinde untergehen!« brüllte Zagloba los; aber die folgenden Schüsse übertönten seine Worte.
    Die Schlachta begann laut zu zählen:
    »Elf – zwölf – neunzehn – zwanzig!«
    »Ruhe da, der Fürst will sprechen!« rief man mit einem Male an verschiedenen Stellen der Tafel.
    »Der Fürst will sprechen!«
    Im Saale wurde es plötzlich still, und aller Augen wandten sich auf Radziwill, der aufrecht mit dem Becher in der Hand dastand. Doch welch ein Schauspiel bot sich den Augen der Anwesenden. Das Gesicht des Fürsten war einfach erschrecklich anzusehen. Es war dunkelrot, fast blau, und ein krampfhaftes Lächeln verzerrte seine Züge. Sein für gewöhnlich schon kurzer Atem war noch kürzer; die Brust hob sich hoch unter dem Goldbrokat, die Augen waren von den Wimpern fast ganz bedeckt.
    »Was ist's mit dem Fürsten? Ist er unpäßlich?« verbreitete sich ein erregtes Flüstern im Saal.
    Eine Unheil verheißende Ahnung durchzog alle Herzen, eine fieberhafte Erwartung lag auf jedem Gesichte.
    Der Fürst begann in kurzen, abgerissenen Sätzen zu reden:
    »Panowie! – Viele von euch – werden sich wundern, – vielleicht wird Sie sogar mein Toast erschrecken. – Aber, wer mir vertraut, – wer aufrichtig das Wohl des Vaterlandes wünscht, – wer meinem Hause ergeben ist, – der wird bereitwillig seinen Becher erheben und mit mir rufen: Vivat König Karl-Gustav, – der von heute an uns gnädig regiere!«
    »Vivat!« wiederholten die Gesandten Löwenhaupt und Shitte und einige ausländische Offiziere.
    Aber rings im Saale herrschte Stille. Die Obersten und die Edelleute sahen sich mit erschrockenen Augen an, als wenn sie sich fragten, ob der Fürst nicht den Verstand verloren habe. Schließlich erschollen einzelne Rufe:
    »Haben wir recht gehört? Was bedeutet denn das?«
    Dann erfüllte ein unheimliches Schweigen wieder den Saal.
    Radziwill stand noch immer auf seinem Platze; er atmete tief auf, als hätte er eine schwere Last von sich abgewälzt. Sein Gesicht nahm wieder die gewöhnliche Farbe an. Er wandte sich an den Pan Komorowski:
    »Es ist Zeit, daß Sie den Vertrag verlesen, den wir heute unterzeichnet haben, damit die Schlachta weiß, wie sie sich zu halten habe. Lesen Sie!«
    Komorowski erhob sich, rollte das vor ihm liegende Pergament auf und begann zu lesen:
    »Da wir es nicht für möglich halten, unter den jetzigen obwaltenden Umständen weiter zu leben, und nachdem wir jegliche Hoffnung auf die Hilfe Seiner Majestät des Königs verloren haben, sehen wir, Edelleute und die Stände des litauischen Großfürstentums, uns bewogen, der Not zu gehorchen und uns unter das Protektorat des Königs von Schweden zu stellen. Wir stellen dagegen folgende Bedingungen:
    1. Wir wollen gemeinsam gegen gemeinsame Feinde kämpfen, ausgenommen gegen den König von Polen.
    2. Litauen wird nicht Schweden einverleibt, es tritt mit ihm in eine Union, wie es vorher durch eine Union mit Polen verbunden war.
    3. Die Stimmfreiheit im Landtage darf ihm nicht genommen werden.
    4. Die Religionsfreiheit darf nicht angetastet werden.
    Solange Pan Komorowski las, herrschte im Saale tiefes Schweigen. Als er jedoch mit dem Satze schloß: »Diesen Vertrag bekräftigen wir für uns und unsere Nachkommen durch unsere Unterschriften,« da entstand ein Flüstern im Saale, als wenn der erste Windstoß eines nahenden Gewitters durch die Wipfel eines Waldes fährt.
    Aber noch bevor das Gewitter zum Ausbruch kam, erhob sich der weißhaarige Oberst Stankiewicz und begann zu flehen:
    »Gnädigster Fürst, wir können unseren Ohren nicht trauen. Um Gottes willen, kann man denn, – darf man denn sich von seinen Brüdern, vom Vaterlande lossagen und mit dem Feinde paktieren? Erlauchtigster Fürst, gedenken Sie des Namens, den Sie tragen, gedenken Sie Ihrer Verdienste, gedenken Sie des bisher unbefleckten Ruhmes Ihres Geschlechtes und zerreißen Sie dieses schändliche Papier! Ich weiß, daß ich Sie nicht allein in meinem Namen darum bitte, sondern im Namen aller hier anwesenden Ritter und der ganzen Schlachta. Fürst, tun Sie das nicht! Jetzt ist es noch Zeit! – Erbarmen Sie sich Ihrer selbst, – erbarmen Sie sich unser, – erbarmen Sie sich der Republik!«
    »Tun Sie es nicht! – Erbarmen! Erbarmen!« erschollen Hunderte von Stimmen.
    Alle Obersten sprangen von ihren Plätzen auf und traten zum Fürsten; der alte Stankiewicz warf sich

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