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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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wie Brüder geliebt und ihnen um dieser Liebe willen Streitwagen und Waffen und Gold und kostbare Geschenke gesandt haben.«
    Ich erkannte, daß dieses Land erschöpft und am Aussterben war und daß sich der Schatten des Todes über seine Tempel und Prachtbauten lagerte. Seine Bewohner selbst jedoch begriffen das nicht, sondern widmeten ihre Aufmerksamkeit vornehmlich den mit viel Sorgfalt und Erfindungsgabe zubereiteten Speisen und vergeudeten die Zeit damit, neue Kleider und Schuhe mit Schnabelspitzen sowie neue Hüte anzuprobieren und Schmuck auszuwählen. Ihre Arme waren schlank wie diejenigen der Ägypter und die Haut ihrer Frauen so zart, daß man das Blut blau in den Adern fließen sah; auch redeten und gehabten sie sich mit viel Anstand, und sowohl die Männer als auch die Frauen befleißigten sich von Jugend auf der Gesangskunst. Das Leben in diesem Lande war angenehm, und in den Freudenhäusern zerriß einem kein Lärm die Ohren, sondern alles ging still und vornehm zu, so daß ich mir im Verkehr mit den Leuten und beim Weintrinken geradezu linkisch vorkam. Aber wenn ich die Menschen betrachtete, wurde mir schwer ums Herz; denn ich hatte erfahren, was Krieg heißt, und wenn alles, was über die Hetiter behauptet wurde, stimmte, war das Land Mitani dem Untergang geweiht.
    Auch ihre Heilkunst stand hoch, und ihre Ärzte waren geschickte, in ihrem Beruf erfahrene Männer, die vieles wußten, was mir unbekannt war. So erhielt ich von ihnen zum Beispiel ein Wurmmittel von müheloserer und angenehmerer Wirkung als irgendeine andere mir bekannte Arznei. Auch sie konnten Blinde mit der Nadel sehend machen und lehrten mich, die Nadel geschickter als zuvor zu handhaben. Vom Schädelbohren hingegen hatten sie keine Ahnung und wollten mir auch nicht glauben, was ich ihnen darüber erzählte, sondern meinten, daß nur die Götter hirnkranke Patienten heilen könnten, wobei diese jedoch nicht wieder ganz normal würden, weshalb es besser für sie sei, zu sterben.
    Trotzdem suchten mich die Einwohner Mitanis aus Neugier auf und brachten mir Patienten; denn alles Fremde lockte sie, und wie sie fremde Kleidung trugen, fremde Speisen aßen, Wein aus dem Hafen tranken und fremdartigen Schmuck liebten, so suchten sie auch Heilung bei einem fremden Arzt. Auch Frauen erbaten meinen Rat und lächelten mich an und schilderten mir ihre Leiden und klagten über ihre Männer, die kalt und faul und kraftlos seien. Ich verstand recht gut, was sie von mir wollten, aber ich rührte sie nicht zu meinem Ergötzen an, weil ich die Gesetze des fremden Landes nicht verletzen wollte. Statt dessen gab ich ihnen Mittel, die sie im geheimen dem Wein ihrer Männer beimischen sollten. Ich hatte nämlich von den Ärzten Simyras Mittel erhalten, die sogar einen Toten dazu bringen konnten, mit einem Weibe sich der Wollust hinzugeben; in dieser Hinsicht waren die Ärzte Syriens die geschicktesten der Welt und ihre Arzneien wirkungsvoller als die ägyptischen. Ob aber die Frauen meine Mittel wirklich ihren eigenen und nicht etwa anderen Männern eingaben, weiß ich nicht. Doch nehme ich an, daß sie die Fremden auf Kosten ihrer Ehemänner bevorzugten, denn ihre Sitten waren frei; auch blieben sie kinderlos, woraus ich ebenfalls schloß, daß der Schatten des Todes auf diesem Lande ruhte.
    Weiter muß ich noch berichten, daß die Bewohner dieses Landes die Grenzen ihres eigenen Reiches nicht mehr kannten, weil ihre Marksteine unaufhörlich versetzt wurden. Die Hetiter schleppten diese in ihren Streitwagen mit und pflanzten sie wieder auf, wo es ihnen gerade beliebte. Wenn sich die Mitani solcher Maßnahme widersetzten, lachten die Hetiter sie aus und forderten sie auf, die Steine wieder zurückzuversetzen, falls sie Lust dazu verspürten. Aber die Mitani hatten keine Lust dazu; denn wenn ihre Berichte über die Hetiter mit der Wahrheit übereinstimmten, so waren diese das grausamste und fürchterlichste Volk, das je auf Erden gelebt hat. Laut diesen Erzählungen bestand die größte Freude der Hetiter darin, sich am Jammer der Verstümmelten zu weiden und Blut aus offenen Wunden fließen zu sehen, und wenn die Grenzbewohner Mitanis darüber klagten, daß die Viehherden der Hetiter ihre Äcker zertrampelten und ihre Ernten auffraßen, hackten ihnen diese die Hände ab und forderten sie dann höhnisch auf, die Grenzsteine zurückzuversetzen. Auch hieben sie ihnen die Füße ab und ermahnten sie, mit ihrer Klage zu ihrem König zu gehen; sie schlitzten

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