Sinuhe der Ägypter
fürchtete. Die einzige Abwechslung boten die Karawanen aus allen Ländern; denn die Stadt lag an der Kreuzung verschiedener Karawanenstraßen. Aber so sind alle Grenzmarkstädte, welchem König sie auch unterstellt sein mögen, und für die Offiziere und Soldaten der Armeen Ägyptens, Mitanis, Babylons oder der Chatti bedeutet es eine Strafe, dorthin versetzt zu werden. Auch habe ich nie gefunden, daß die Offiziere und Soldaten einer Grenzstadtgarnison etwas anderes täten als über das Dasein fluchen, sich miteinander schlagen, schlechtes Bier trinken und sich mit Frauen ergötzen, die ihnen eher Unlust als Genuß bereiteten.
Wir setzten daher unsere Reise fort und gelangten über die Grenze in das Land Naharina, und nichts hielt uns auf, bis wir einen Fluß erreichten, der südwärts und nicht wie der Nil nordwärts fließt. Man sagte uns, daß wir uns im Lande Mitani befänden, und wir erlegten dem königlichen Steueramt die für Reisende festgesetzte Abgabe. Doch da wir Ägypter waren, begegneten uns die Leute mit Achtung und redeten uns in den Straßen an: »Willkommen bei uns, der Anblick eines Ägypters bereitet unseren Herzen Freude. Seit langer Zeit haben wir keinen Ägypter mehr gesehen. Deshalb sind unsere Herzen voll Unruhe, denn euer Pharao hat unserem Lande weder Soldaten noch Waffen noch Gold gesandt, und es wird behauptet, er habe unserm König einen neuen Gott angeboten, von dem wir nichts wissen, und wir haben doch die Ischtar Ninives und eine ganze Menge anderer mächtiger Götter, die uns bisher beschützten!« Sie luden mich in ihre Häuser ein und boten mir Speisen und Getränke an. Sogar Kaptah verpflegten sie, weil er, obschon nur mein Diener, doch Ägypter war. Da meinte er: »Das ist ein gutes Land. Bleiben wir hier, Herr, um die Heilkunst auszuüben! Allem nach sind diese Menschen unwissende und leichtgläubige Geschöpfe, die man leicht betrügen kann.«
Der König von Mitani und sein Hof waren über die heißeste Sommerzeit in die nördlichen Berge hinaufgezogen. Aber ich hatte keine Lust, dorthin zu fahren; denn ich brannte vor Ungeduld, die Wunder Babylons zu sehen, von denen ich soviel gehört hatte. Doch befolgte ich Haremhabs Befehl und redete mit hoch und niedrig, und alle sagten mir das gleiche, woraus ich entnahm, daß ihre Herzen wirklich voll Unruhe waren. Denn das Land Mitani war ehemals ein mächtiges Land gewesen; jetzt aber schwebte es sozusagen in der Luft und war im Südosten von Babylon, im Norden von den Barbarenvölkern und im Westen von den Hetitern in deren Lande Chatti umgeben. Je mehr ich von den gefürchteten Hetitern reden hörte, um so klarer ward es mir, daß ich auch in das Land Chatti reisen mußte. Zuerst aber wollte ich Babylon besuchen.
Die Einwohner des Landes Mitani waren klein von Wuchs, ihre Frauen schön und schlank, ihre Kinder glichen Puppen. Vielleicht waren sie einst ein starkes Volk gewesen; denn sie behaupteten, voreinst alle Länder im Norden und Süden, im Osten und Westen beherrscht zu haben. Aber das behaupten auch alle anderen Völker. Auch schenkte ich ihnen keinen Glauben, wenn sie behaupteten, einst Babylon besiegt und geplündert zu haben; wenn sie dies jedoch wirklich getan haben, ist es jedenfalls dank der Hilfe der Pharaonen geschehen. Denn seit der Zeit der großen Pharaonen war dieses Land von Ägypten abhängig gewesen, und seit zwei Menschenaltern hatten seine Königstöchter als Gemahlinnen im goldenen Haus des Pharao gewohnt. Die Vorfahren der Amenhoteper hatten das Land Naharina vom einen Ende zum anderen in ihren Streitwagen durchquert, und in den Städten wurden ihre Siegestafeln noch gezeigt. Als ich die Reden und Klagen der Mitani vernahm, begriff ich, daß dieses Land dazu auserkoren war, einen Pufferstaat zwischen Syrien und Ägypten einerseits und Babylon und den Barbarenvölkern andererseits zu bilden, und daß es Syrien als Schild dienen sollte, um die gegen Ägyptens Macht gerichteten Speere aufzufangen. Aus diesem Grund allein stützten die Pharaonen den brüchigen Thron seines Königs und sandten ihm Gold und Waffen und Söldnertruppen. Aber das verstanden die Einwohner nicht, sondern waren stolz auf ihr Land und dessen Macht und meinten: »Unsere Königstochter Tadukhipa war eine große königliche Gemahlin zu Theben, obwohl sie erst ein Kind war und plötzlich starb. Wir begreifen nicht, warum der Pharao uns kein Gold mehr sendet, obwohl die Pharaonen, soweit wir uns zurückerinnern können, unsere Könige
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